Mittwoch, 14. Juli 2010

Voltaires Katzengold

Auf den ersten Blick wirkt das vielleicht seltsam. In meiner "atheistischen Phase", so zwischen 67´ und 77´ habe ich mich intensiv mit so mancherlei esoterischem Krimskrams beschäftigt. Unter anderem mit Astrologie - da faszinierte mich eher die mathematisch-astronomische Basis - am liebsten mit dem Tarot. Über Jahre habe ich meine Verwandtschaft und Bekanntschaft mit selbstberechneten und gezeichneten Astrodiagrammen beglückt und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit, Hochzeiten, Geburtstagen usw. habe ich Freunden, Verwandten und Bekannten "die Karten gelegt".

Der Mensche füllt, so die Lehre die ich daraus ziehen würde, die geistliche Leere, die ihn bedrückt, wenn er sich von Religion distanziert und Gott aus seinem Leben aussperrt, mit pseudogeistlichem Katzengold. In einer Zeit. in der die Kirche für die Mehrheit zum Ärgernis oder zur Torheit geworden ist, machen die Eso-Pusher beste Geschäfte.

Bei näherer Beschäftigung mit dem Tarot machte ich vor kurzem die erstaunliche Entdeckung, daß es den aufgeklärten europäischen Gebildeten offenbar nicht anders ging, als es mir gegangen war. Ausgerechnet die Aufklärer, die die Kirche zum exotisch-orientalischen Fremdkörper umphilosphierten entwickelten ein merkwürdiges faible für meist pseudoexotische-pseudorientalische Esoterik. Nicht erst die Hippies des 20. Jahrhunderts, sondern bereits die Aufgeklärten des 18. Jahrhunderts begeisterten sich für pseudoreligiösen Kitsch, den sie - meist fälschlich - noch der vorantiken Frühzeit zuordneten.

An der Begeisterung für den Gebrauch des Tarot läßt sich das wunderbar nachvollziehen. Die heutigen "Erkenntnisse" der Tarot-Industrie, daß es sich um okkultes Wissen aus der Zeit der Pharaonen handelte gehen auf einen calvinistischen Pastor und Freimaurer zurück, den in der Szene hoch verehrten Antoine Court de Gebelin. Antoine Court lernte das Spiel in Paris kennen, nicht etwa als Instrumentarium der Wahrsagerei, sondern als schlichtes Kartenspiel. Seine "wissenschaftliche" Beschäftigung führte zur "Erkenntnis", daß es sich hier um uralte Symbole einer ägyptisch-hebräischen Epoche der vorchristlichen Zeit handelte. Antoine Courts Theorie zufolge hatten Zigeuner - die man in der Zeit der Aufklärung gleichfalls für Ägypter (engl. Gypsies) hielt, ihre magischen Karten nach Europa gebracht.

Diese Theorie ist widerlegt. Sie beruhte im übrigen niemals auf wirklicher wissenschaftlicher Arbeit, sonder war schlichte Spekulation. Eine sehr erfolgreiche, man gebe etwa das Wort Tarot in eine beliebige Suchmaschine ein, und man wird tausende von Titeln finden, die sich mit dem Thema beschäftigen. Die Zahl der Tarot-Decks, die in den letzten Jahrzehnten verkauft wurden und in Gebrauch sind, dürfte sich auf Millionen belaufen. Wissenschaftliche Titel, die sich ernsthaft und seriös mit dem Tarot beschäftigen sind hingegen dünn gesät.

Dort läßt sich allerdings nachlesen, daß Tarot mit Ägytenland nichts, mit der Ägyptomania der französischen Auklärung sehr viel zu tun. Tarot (tarocchi-) Karten sind schon seit dem 15. Jahrhundert bekannt, bis zu Antoine Court de Gébelin "Entdeckung" dienten sie nicht der Wahrsagekunst, sondern dem Kartenspiel.

Wäre noch zu erwähnen, daß Court de Gébelin mit der Crème de la crème der französischen Aufklärung verkehrte. Als prominentes Mitglied der in ihrer Zeit prominentesten und einflußreichsten Freimaurerloge, der Loge "Les Neuf Sœures", war Antoine Court gemeinsam mit dem damaligen amerikanischen Botschafter Benjamin Franklin an der Initiation von niemanden anderem als Monsieur Voltaire beteiligt.

Antoine dürfte wohl auch einer der ersten Märtyrer der Esoterik gewesen sein. An einer schweren Infektion erkrankt, begab er sich ausgerechnet in die Hände des esoterischen Quacksalbers Mesmer. Der konnte ihn zwar zunächst kurieren, nach einem Rückfall aber starb Antoine Court während einer Behandlung mit  von Monsieur Mesmer "magnetisiertem" Wasser.

Ci-gît ce pauvre Gébelin,
Qui parloit Grec, Hébreu, Latin;
Admirez tous son héroisme:
Il fut martyr du magnétisme.

Das Titelbild gibt die Karte "Glaube" aus einem der ältesten (und schönsten) Tarot -Kartenspiele wieder, dem Visconti-Sforza-Tarot. Die christliche Symbolik überwiegt. Keine Spur von den alten Ägyptern.

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