Nein, von Doktoren halte ich meist ziemlich wenig. Hat wahrscheinlich damit zu tun, daß ich meine eigene Doktorarbeit nie zu Ende gebracht habe, weil ich nach dem vierten Exposé, mit dem ich meinen Doktorvater genervt habe eine Vision durchlitt, in der sich der Betonbau des Juridicums unerbittlich auf mich niedersenkte, um mich zu zerquetschen. (Echt!) Kurzum, ich sah einfach einen bitteren und nahen Tod vor mir, wenn ich wirklich mein Doktorarbeitprojekt mit mindstens 500 Seiten mit mindstens 3.000 Fußnoten nebst 20seitigen Literaturapparat in die Tat umsetzte. Juristische Doktorarbeiten können todsterbenslangweilig sein.
Dann doch lieber Konventionalscheidungen exekutieren, Kampftrinker verteidigen, Umlagenabrechnungen prüfen, mit Amtsleitern Bier saufen gehen, Knastluft schnuppern, stundenlange Vorträge aus TÜ-Protokollen hören. Ist ja manchmal auch nicht so prickelnd aber...
Mein Lieblingskomiker Broder hat sich ja gerade die Doktorarbeit des schärfsten Guttenbergkritikers Gysi vorgenommen. Interessesante Sache das. "Wenn das eine Arbeit ist, die wissenschaftlichen Kriterien entspricht, dann ist auch Kartenlegen eine wissenschaftliche Disziplin." Tja, ist wohl so, trotzdem werden wir uns nicht darauf freuen dürfen, daß Gysi nun in die Frührente geht.
Des Guttenberg-Terminators Fischer-Lescanos Doktorarbeit ist ja - selber Schuld - nun auch für alle zugreifbar verlinkt. Ein halsbrecherisches Werk. Da stelzt die deutsche Sprache auf so hohen Koturnen daher, daß man fürchtet, der Herr Doktor breche sich an der nächsten semantischen Bordsteinkante schier seinen akademischen Hals.
Die Semantik der Individualität, die Entdeckung des Menschen, ist auf die Umstellung gesellschaftlicher Differenzierung von Merkmalen stratifikatorischer Provenienz zu funktionalen Differenzierungsformen zurückzuführen. Die je individuelle Zumutung der Individualität und deren gesellschaftliche Auswirkungen liegen in der Konsequenz der gesellschaftlichen Tatsache, fait social, dass die Rolle des Individuums in der Gesellschaft nicht mehr aufgrund naturalistischer oder religiöser Momente determiniert ist, struktur- und herrschaftsbedingte Identitätszuweisungen gestrichen sind.Nun muß man sich über solchen Schraubsprech nicht unbedingt wundern, entfalten sich doch die Geistesblitze dieser Arbeit vorwiegend zwischen Zitaten der Schraubdenker Luhmann und Derrida.
Wenn man aber Rechte als normative Erwartungen begreift und das Weltmenschenrechts-Recht als Subsystem der Weltgesellschaft, dann sieht man, dass man zwar unter Berufung die Menschenrechtssemantik eine Vielzahl von Realzuständen beklagen kann, dass man es aber dann nicht mit den normativen, kontrafaktischen Erwartungen in der Weltgesellschaft zu tun hat, sondern mit lernbereiten Kognitionen, kognitiven Erwartungen also, die , sei es kopfschüttelnd, sei es resignierend, skandalöse Zustände als Realität ferner Welten hinzunehmen bereit sind und sich diesen Atrozitäten lernend beugen.Usw. usf. Wer wie der Herr Doktorand zwischen Konstruktivismus (Luhmann) und Dekonstruktion (Derrida) schwankt, kann und darf offenbar gar nicht anders schreiben. Schließlich sollte man es als Derridaner tunlichst vermeiden, verstanden zu werden.
Der Artikel in der "Kritischen Justiz" (aus meiner Sicht gewissermaßen eines der frühesten Foren der Dekonstruktion) hat ja nun Geschichte gemacht. Wenn man sich aber auch hier mit dem Sprachstil des Autors befaßt, findet sich Wunderliches. Den Gebrauch des sogenannten "Gender-Gap" ("Leser_innen, Autor_innen") hielt ich bisher für eine Sprachmarotte pubertierender Junggrüner. Daß ein leibhaftiger Professor diesen kindischen Unfug mitmacht, paßt nun wirklich in die Saison. Da setzt sich einer die Schellenkappe aufs Haupt und merkt es nicht mal.
Was Fischer-Lescano sonst noch so denkt und tut, kann man bei dem "Institut Solidarische Moderne" nachlesen. Das fragen sich die Mitwirkenden etwa wie sich die "kulturelle Norm der Heterosexualität gesellschaftlich durchbrechen" läßt. Ein klassisches Thema der Derridaner. So bekommt der kleine Unterstrich direkt Sinn.