Montag, 13. Juni 2011

Christus will er? Eine Spritze bekommt er!


Heute wurde Alojs Andricki, ein Priester der sorbischen Volksgruppe in Sachsen, seliggesprochen. Mehr als 10.000 Menschen nahmen an der Seligsprechungsfeier in Dresden teil. Für die katholischen Sorben war Alojs schon längst ein Heiliger, aber erst 1998 wurde das Seligsprechungsverfahren eingeleitet, daß heute endete. An Feier und Gottesdienst nahm neben tausenden von Sorben auch der Ministerpräsident Sachsens, Stanislaw Tillich teil, selbst, wie der Märtyrerpriester Andricki, katholischer Sorbe. Stanislaw Tillich spricht während der Messe das Fürbittegebet in sorbischer Sprache.

Das Schicksal Alojs Andrickis bietet ein anschauliches Beispiel sowohl für den Widerstand vieler katholischer Gläubiger und Priester gegen das mörderische Regime des Nationalsozialismus, wie für das Funktionieren dieses Systems. Im Fall des jungen Priesters genügten ein paar kritische Sätze und eine wütende Debatte mit einem Spitzel, um ihn erst hinter Gitter zu bringen, dann in das KZ Dachau.

Am 7.2.1941 kam Alojs Andritzki wegen regimekritischer Äußerungen in Untersuchungshaft. Die Anklageschrift zitiert zahlreiche regimekritische Äußerung Alojs, und subsumiert formell korrekt in einer Sprache, die mir jeden Tag begegnet, in Juristendeutsch
Am 12.1.1941 nahm der Beschuldigte an einer Fahrt der Dresdener Pfarrjugend nach Pirna teil, wo ein Gruppenspiel in der katholischen Kirche aufgeführt werden sollte. Im Verlaufe des Tages wurden u.a. alte Marienlieder sowie ein weltlicher Kanon gesungen. Bei dieser Gelegenheit erfolgte eine staatspolitische Kontrolle der versammelten Mitglieder und ihrer Tätigkeit. Dies nahm der Beschuldigte zum Anlass, gegen die staatspolitischen Maßnahmen Stellung zu nehmen und auszuführen (Bl. 6 d. A.):
„…In ein paar Jahren wollt Ihr uns doch auf die Guillotine schaffen…Der Kampf geht bis aufs Messer. Ihr müsst Euch an so etwas gewöhnen. Das sind die Vorspiele, später wird es ganz anders…“
Der Beschuldigte bestreitet, sich staatsfeindlich ausgelassen zu haben und behauptet, er habe, wenn er überhaupt die ihm zur Last gelegten Redewendungen gebraucht habe, dies aus rein religiöser Einstellung heraus getan. Es habe ihm ferngelegen, politische Einrichtungen des Staates zu kritisieren. Der gesamte Sachverhalt und die die Äußerungen des Beschuldigten begleitenden Umstände lassen erkennen, dass es sich insoweit nur um eine leere Ausrede des Beschuldigten handelt. Er wird in der Hauptverhandlung überführt werden.
Er wird überführt werden. Vor dem Sondergericht in Dresden, das unter anderem Verstöße gegen das sogenannte Heimtückegesetz zu ahnden hatte, wird er einem der vielen kleinen Freislers begegnet sein, die bedenkenlos das nationalsozialistische Gesinnungsstrafrecht exekutiert haben. Das Urteil lautet auf 6 Monate Haft, doch nach diesem halben Jahr wird der Priester sofort durch die GeStaPo verhaftet und alsbald in das KZ Dachau transportiert.

Wie viele der Inhaftierten erkrankt Alojs im Hungerwinter 1942/1943 an den Folgen der chronischen Unterernährung. Die Gefangen bekommen kaum zu essen, bei Eiseskälte zwingt man sie, bis zu vierzehn Stunden täglich hart zu arbeiten. Keine Winterkleidung gibt es, keinen Schutz gegen Regen und Kälte. Um Weihnachten erkrankte Alojs an Hungertyphus, die Krankheit grassiert im Lager.

Alojs wird in die Krankenabteilung geschafft, die in Dachau, wie in anderen KZs weniger den Zweck der Behandlung, sondern der zügigen Beseitigung kranker Häftlinge hat. Als er im Sterben liegt, bittet ein Mitgefangener den zuständigen Funktionshäftling, einen Priester zu holen, um dem Sterbenden die Sterbesakramente. Der KaPo reagiert mit den Worten: "Christus will er? eine Spritze bekommt er!"

Am 3.2.1943 wird Alojs Andricki mit einer Giftspritze umgebracht.

Warum hat Alois die Guillotine erwähnt? Mit der Guillotine wurden während des Dritten Reiches verurteilte Verbrecher hingerichtet, doch in den KZs starben die Menschen nicht unter der Guillotine. Über die Mordpraxis in den Konzentrationslagern war Alois Andritzki gut informiert. Daß er genau wußte, daß auch Priester in KZs transportiert wurden, um sie dort umzubringen, wurde ihm zum Verhängnis, weil er es aussprach. Dachte Alois an den Terreur der Französischen Revolution? Sicher nicht zu Unrecht. Deren wichtigstes Mordinstrument war die Guillotine. Mehr als 8.000 Priester, Mönche und Nonnen starben während der Zeit des jakobinischen Terrors und der Phase der Dechristianisierung unter dem Fallbeil.  Alois hatte die geistigen Vorväter des Naziterrors im Sinn, als er den fatalen Satz sprach, der ihn selbst ins KZ führen würde.

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