Freitag, 3. Dezember 2010

Nummer Eins



Zwei Bücher habe ich durch all die Jahre mit mir herumgeschleppt. Sie haben das Chaos meines Jugendzimmers überlebt, das Chaos meiner Pubertät, wie auch das Chaos meines Pubertärmarxismus, selbst die reichistische Phase. Eine Hausbesetzung, eine Häuserräumung, eine Straßenschlacht, ein Dutzend Umzüge, Katzen, Hunde und Kinder. Sie sehen etwas mitgenommen aus, die Bibel, meine Konfirmandenbibel, selbstverständlich eine luthersche, ist ein fragiler Haufen alten Papiers, den man ganz vorsichtig in die Hand nehmen sollte. Bei meinem Evangelischen Kirchengesangbuch anno 1959 ist der Einband etwas kaputt, aber das solide Bibeldruckpapier, auf dem es gedruckt ist, wird wohl noch ein Jahrhundert halten. Auch sonst ist es solid, steigt der Christus da doch nicht hinab "in das Reich der Toten" sondern "fährt nieder zur Hölle", und stehen da auch nicht die Toten auf, vielmehr erfolgt hier noch römisch-katholisch korrekt die "Auferstehung des Fleisches".

Die Nummer eins in diesem Gesangbuch ist Luthers Übersetzung des ambrosianischen Veni Redemptor gentium. Nun komm der Heiden Heiland. Auch dieses Lied hatte ein wenig gelitten. Es fehlten die marianischen Verse 2 und 3. Und heute ist das Lied im neuen EG nur noch die Nummer vier. Stattdessen beginnt es nun mit "Macht hoch die Tür". Auch ein schönes Lied, hörte man es nicht in jedem Supermarkt als "vorweihnachtliche" Hintergrundmusik zur Verkaufsförderung für billige Weihnachtsplätzchen und Coca-Cola-Weihnachtsmänner. Und daß Müntzers Übersetzung des Conditor Alme Siderum auf Platz Drei vorgerückt ist, hätt´ den Luther sicher tierisch geärgert. Mich ärgerts auch, kann ich diesen DDR-Heiligen Müntzer doch mittlerweile überhaupt nicht mehr leiden.

Tonal versus modal, Kirchenton gegen Kaufrauschmusik, das konnte auch musikalisch nur für den Sound des 18. statt des 16. Jahrhunderts ausgehen. Bei mir ist er (der Hymnus) immer noch die Nummer eins. Hatte da einen kleinen Disput mit unserem Scholaleiter, der die katholische Variante des "Veni" im Gotteslob besser findet als Luthers unvergleichliche Kontrafaktur. Ich find sie blöd (die neukatholische Version), vor allem wegen ihrer sprachlichen Archaismen, "Darob" klingt im 20. Jahrhundert eben einfach nur albern. Und sich mit dem begnadedsten Wortmetz der Renaissance zu messen, sollte man besser erst gar nicht versuchen.

Adventskalenderfenster Nr. 3. Sopransaxophon mit Gregorianik zu mischen ist ein ziemliches mutiges Experiment. Klingt aber nicht schlecht. ("nicht schlecht" ist der norddeutsche Superlativ, und bedeutet ins Landrattische übersetzt soviel wie "himmlisch", "wundervoll", "einzigartig" und was dergleichen südeuropäische UnterdemWeißwurstäquatortypische Exaltiertheiten noch mehr sind)

1 Kommentar:

Yon hat gesagt…

Bitte, mein Herr, im schönen Oberschwaben (Saum Seines Gewandes, Schemel Seiner Füße, usw.) haben wir die Faustregel: It gschimpft isch scho globbt gnuag - Nicht geschimpft ist schon genug gelobt.
Ich bin nur aus der Art geschlagen.