Das Rorate coeli (Hymnus) in einer Fassung der Blackfriars von Oxford.
Es dauert schon ziemlich lange, bis man die goldenen Schätze der katholischen Liturgie und Musik entdeckt. Sie werden nicht gerade auf dem Präsentierteller dargeboten. Dieser Wechselgesang findet sich weder in Gotteslob noch im GT noch in irgendeinem offiziellen liturgischen Buch. Die Textfassung und Melodiefassung fand sich zuletzt im liber usualis von 1964. Daß dieses Lied, das von Sünde und Schuld, Elend und Verzweiflung - und Erlösung - handelt, so versteckt wird, hat, vermute ich, diesselben Gründe und Motive, die dazu führten, daß in unserem Gotteslob - das ich für das schlechteste Gesangbuch der Welt halte - das Wort "Jammertal" gegen die authentische Textgestalt entsprechender Hymnen ausgemerzt und durch "Erdental" ersetzt wurde.
(Weiß eigentlich jemand, wer dafür verantwortlich ist und seit wann die Erdentalisierung stattfand?)
Was die Gründe für die Tilgung des Wortes "Jammertal" angeht, habe ich vor kurzem eine frappierend schlüssige Erklärung in einem nunmehr mehr als 150 Jahre alten Text gefunden:
Der modernen Irrtümer sind unzählige; doch sie alle, schaut man genauer hin, haben ihren Ursprung und finden ihren Tod in zwei obersten Negationen; eine von ihnen bezieht sich auf Gott, die andere bezieht sich auf den Menschen. Die Gesellschaft leugnet von Gott, daß Er sich um seine Geschöpfe kümmert, und vom Menschen, daß er empfangen wurde in Sünde. Sein Stolz flüsterte dem Menschen unserer Tage zwei Dinge ein, die er beide geglaubt hat: daß er ohne Makel und Flecken sei und daß er Gott nicht nötig habe; daß er stark sei und daß er schön sei. deshalb sehen wir ihn dünkelhaft aufgeblasen ob seiner Stärke und Macht und verliebt in seine Schönheit.
Leugnet man die Sünde, so leugnet man, neben vielem anderen, die folgenden Dinge: daß das irdische Leben ein Leben der Buße ist und daß die Welt, in der sich dieses Leben abspielt, ein Tal der Tränen sein muß; daß das Licht der Vernunft matt ist und unsicher flackert; daß der Wille des Menschen schwach und versehrt ist; daß die Lust uns gegeben ward als Versuchung, damit wir uns befreien von ihrer Anziehungskraft; daß der Schmerz etwas Gutes ist, und wenn er aus einem übernatürlichen Beweggrund in freiwilliger Hinnahme angenommen wird; daß die Zeit uns gegeben ward zu unserer Heiligung; daß der Mensch der Heiligung bedarf." (Juan Donoso Cortés, Marquis von Valegamas, Brief an Kardinal Fornari vom 19. Juni 1852)Dank Wikipedia findet sich der Text des Hymnus vollständig im internet mit Übersetzung.
KV: Tauet Himmel, von oben,
ihr Wolken, regnet den Gerechten.
Zürne nicht länger, Herr,
nicht länger gedenke unserer Missetaten.
Siehe, die Heilige Stadt ist zur Wüste geworden,
Sion ist zur Wüste geworden.
Jerusalem ist verödet,
das Haus Deiner Heiligung und Deiner Herrlichkeit,
wo Dich gepriesen haben unsere Väter. Kv.
Wir haben gesündigt und sind unrein geworden
und sind gefallen wie ein Blatt,
und unsere Missetaten haben uns wie der Wind fortgetragen.
Du hast Dein Antlitz verborgen vor uns
und uns zerschmettert durch die Wucht unserer Schuld. Kv.
Sieh an, Herr, die Betrübnis Deines Volkes,
und sende, den Du senden willst.
Sende aus das Lamm, den Beherrscher der Erde,
vom Felsen der Wüste zum Berg der Tochter Zion,
dass es hinwegnehme das Joch unserer Knechtschaft. Kv.
Ihr werdet getröstet, ihr werdet getröstet, mein Volk!
Bald wird kommen Dein Heil.
Warum verzehrst Du Dich in Trauer,
weil sich erneuert hat dein Schmerz?
Ich werde Dich retten, fürchte Dich nicht.
Denn ich bin der Herr, Dein Gott,
der Heilige Israels, Dein Erlöser. Kv.
Die Übersetzung zeigt es: eindeutig zuviel "lacrimarum vallae".
Es wird wohl noch einen anderen Grund haben, warum seit dem Liber Usualis, das zuletzt 1964 herauskam, dieses Lied, wie andere, nicht mehr in Liederbüchern auftaucht. Die Identifikation der Kirche mit dem Volk Israel ist unsagbar und unsingbar geworden, seit man den "eigenen Heilsweg" des Volkes Israel entdeckt haben will. Wir sind also schon lange keine "spirituellen Semiten" (Pius XI) mehr.
Das liber usualis ist hier herunterzuladen (Vorsicht 115 MB!)
5 Kommentare:
Dies hat unsere Schola im vorigen Advent gesungen (allerdings leider nur im Rahmen eines Konzertes). Die Stelle "Jerusalem desolata est" ging mir das ganze Jahr über fast täglich durch den Kopf.
Hochinteressanter Beitrag von Dir. Ich habe das 'Ne irascaris' diesen Montag das _erste_ mal überhaupt in einer Messe vollständig gesungen. War -natürlich- in der außerordentlichen Form der Rorate-Messe.
Geh jetzt mal in die Heia, schreibe vielleicht morgen noch was dazu. Danke auch für den Link. Noch schöner ist natürlich selber singen. Ich bin wirklich dankbar, dass es wieder Priester gibt, die diese verborgene Schätze der Kirche neu heben.
Der Hymnus ist wirklich wunderschön. Samstag ist es bei uns dann auch wieder so weit. Sieben Uhr ist nicht wirklich meine Zeit, aber dennoch freue ich mich schon
Es gibt noch ein anderes YouTube Video mit den Neumen und dem Gesamttext (http://www.youtube.com/watch?v=f06qdhO_sEY&feature=related). Ich spiele es fast jeden Tag ab und hoffe es dann bis Weihnachten gelernt zu haben ;-)
Wenn's dich interessiert, hab den Text von 'ne irascaris' noch mal übersetzt und mit Anmerkungen versehen.
http://benjaminbenoni.blogspot.com/2010/12/ne-irascaris-domine-teil-i.html
Im Teil II werde ich noch etwas über den Text selber schreiben, vielleicht heute Abend.
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