Ob die Lesart des Heiligen Vaters, nach der das II. Vatikanische Konzil in der Kontinuität der Kirche steht, wohl immer und in jedem Fall richtig ist?
Was den Umgang mit dem Stundengebet angeht, hab ich so meine Zweifel. In der Konstitution Sacrosanctum Concilium Kapitel 83. ff. findet sich eine Radikalreform des Stundengebets. Die Matutin kann als Lesehore zu einer beliebigen Zeit des Tages gebetet werden und verliert damit den Charakter des Nachtgebets (Kapitel 89 c). Die Prim entfällt (Kapitel 89 d). Die Psalmen könne auch auf mehrere Wochen verteilt werden (Kapitel 91).
"Die Leidensgeschichten und Lebensbeschreibungen der Heiligen sollen so gefaßt werden, daß sie der geschichtlichen Wahrheit entsprechen."(Kapitel 92 c). Die Konstitution unterwirft sich damit einem fragwürdigen, "wissenschaftlichen" Wahrheitsbegriff. Die Hymnen sollen bereinigt werden, dabei"soll beseitigt oder geändert werden, was mythologische Züge an sich trägt". Wer die traditionelle Begründung des Stundengebetes kennt, etwa bei Benedikt von Nursia, der sich vorwiegend auf das Alte Testament bezieht, muß sich wundern, daß lediglich Zitate aus dem Neuen Testament herangezogen werden. So entsteht der Eindruck, daß Stundengebet sei lediglich christliches Erbe, wo es tatsächlich jüdisch-christliches Erbe ist.
Benedikt jedenfalls interpretierte die jüdische Tradition wie folgt:
Der Verzicht auf Prim und Matutin bricht damit mit der jahrtausendealten jüdischen wie benediktinischen Tradition. Die Verteilung der Psalmen auf mehr als eine Woche kommentiert Benedikt wie folgt:Es gelte was der Prophet sagt: (Ps 119,164) "Siebenmal am Tag singe ich dein Lob."Diese geheiligte Siebenzahl wird von uns dann erfüllt, wenn wir unseren schuldigen Dienst leisten zur Zeit von Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet;
denn von diesen Gebetsstunden am Tag sagt der Prophet: (Ps 119,164) "Siebenmal am Tag singe ich dein Lob."
Von den nächtlichen Vigilien sagt derselbe Prophet: (Ps 119,62) "Um Mitternacht stehe ich auf um dich zu preisen."
Zu diesen Zeiten lasst uns also unserem Schöpfer den Lobpreis darbringen wegen seiner gerechten Entscheide, nämlich in Laudes, Prim, Terz, Sext, Non Vesper und Komplet. Auch in der Nacht lasst uns aufstehen, um ihn zu preisen.
Mönche, die im Verlauf einer Woche weniger singen als den ganzen Psalter mit den üblichen Cantica, sind zu träge im Dienst, den sie gelobt haben.Es nimmt nicht unbedingt wunder, daß insbesondere bei den Orden der Traditionsbruch zu heftigen Reaktionen und Spaltungen geführt hat. Heute läßt sich feststellen, daß bei den Orden, die das traditionelle Gebet bewahrt haben, ein Aufschwung festzustellen ist, während die "liberalen" Orden buchstäblich aussterben. Barroux - mittlerweile wieder in der Gemeinschaft mit der Kirche, ist eine blühende Abtei, während die Entwicklung der Ordensberufungen eines der furchtbarsten Dramen der nachkonzilaren Entwicklung darstellt.
Das Stundengebet in der traditionellen jüdisch begründeten und benediktinisch formulierten Form ist heute wieder lebendig. Das Breviarium in der vor 1962 gültigen Fassung ist in einer sehr edlen und wertvollen Fassung wieder aufgelegt worden. Auch eine Fassung für Laien, die nur die Prim, Sext und Komplet für die Wochentage, Laudes, Prim, Sext, Vesper und Komplet für die Sonn- und Feiertage umfaßt ist im Verlag der Pius-Bruderschaft zu haben. Wenn auch leider nur mit einer englischen Übersetzung.
Daß in der Übersetzung des Stundenbuches das Programm der Entmythologisierung unerbittlich durchgesetzt wurde, gehört zu einem anderen Kapitel. So übersetzt das "Kleine Stundenbuch" das Responsorium der Komplet "In manus tuas, domine, commendo spirituum meum" mit "Herr auf Dich vertraue ich, in Deine Hände lege ich mein Leben". Dies ist keine Übersetzung, sondern eine glatte Umdichtung. Lege statt befehle (commendo), Leben statt Geist(spirituum). Aus den auf das Jenseits gerichteten letzten Psalmworten (Psalm 31,5) Jesu am Kreuz (Lukas 23,46), einer klassischen "imitatio christi", wird eine auf das Diesseits gerichtete Bitte des Beters um Gottes Begleitung.
Die Illustration stammt aus einem mittelalterlichen Stundenbuch.
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