Dienstag, 1. März 2011

Dieser Tag wird uns noch in Erinnerung bleiben

nicht nur wegen des Rücktritt des Verteidigungsministers Guttenberg. Vor allem wird er uns in Erinnerung bleiben, weil der Europäische Gerichtshof unter ausdrücklicher Berufung auf den Lissabon-Vertrag und die dort verabschiedete Charta der Grundrecht sowie unter Berufung auf die Gleichstellungsrichtlinie der EUdie Versicherer verpflichtet hat, sogenannte Unisextarife anzubieten. Beide Ereignisse haben im übrigen miteinander zu tun. Sie sind von der selben Juristenschule vorbereitet und exekutiert worden.

Das Urteil interessiert nicht? Gemach. Ich kenne einige Juristen , die geneigt sind, unter dem Eindruck dieses Urteils ihre Kutte abzugeben. Oder zu emigrieren. Oder beides. Und die auch ihren Mitbürgern die Emigration empfehlen Tue ich hiermit.Ich gehöre dazu. Und was dieses Urteil uns angeht, werde ich noch genauer erläutern. Das Urteil bedeutet den endgültigen Einstieg in eine Gesellschaft, die ich auf diesem Blog schon öfter als neofeudal bezeichnet habe. Eine Gesellschaft die Chancen nicht nach Begabung und Eignung vergibt, sondern nach persönlichen Merkmalen, eben "wie" eine feudale Gesellschaft. Scheinbar ohne Ansehung der Person aber gerade deshalb in Ansehung der Person.

Auf den ersten Blick geht es um eine rein versicherungsrechtliche Frage. Dürfen Versicherungen bei Versicherungstarifen nach dem Geschlecht differenzieren? Nun ist z.B. eine Rentenversicherung für Frauen teurer. Der Grund ist einfach. Frauen leben länger. Sie bekommen deshalb nicht weniger für ihr Geld, wenn sie höhere Beiträge zahlen, sondern genau so viel wie Männer, die weniger zahlen, aber dafür auch weniger erhalten, nämlich weniger Rente für kürzere Lebenszeit.

Dieses Ergebnis ist nicht nur versicherungsmathematisch zwingend, sondern der klassischen Verfassungslehre zufolge auch geboten. Denn der Gleichheitssatz klassischer Verfassungen verbietet nicht nur die Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte, sondern auch die Gleichbehandlung ungleicher Sachverhalte. Unisextarife etwa für eine Rentenversicherung sind nach dem klassischen Verständnis von "Gleichheit vor dem Gesetz" rechtswidrig, weil sie für Männer zu teuer sind und für Frauen zu billig. Männer bekommen in diesem Tarif weniger für ihr Geld - weil sie kürzer leben - als Frauen.

Doch das EU-Konzept verbietet "Diskriminierung", in der wörtlichen Übersetzung Unterscheidung. Es darf also nicht mehr unterschieden werden, weil die Unterscheidung - ein Pleonasmus -diskriminiert.

Was das für die weitere Rechtsprechung des EuGH bedeutet läßt sich ahnen. Die Charta der Grundrechte der EU verbietet unter anderem die Diskriminierung aufgrund der "sexuellen Orientierung". Mit einem Urteil, daß das Adoptionsrecht für lesbischwule Paare gewährt, die nicht nur standesamtliche, sondern womöglich auch kirchliche Eheschließung für Homosexuelle gebietet, ist zu rechnen. 

Denn in diesem Urteil wird auch noch ein anderer Paradigmenwechsel angesprochen. Die Charta der Grundrechte stellt nicht etwa Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates dar, verpflichtet also nicht in erster Linie die Staatsgewalt, sondern verpflichtet jeden einzelnen Bürger, jede Gesellschaft, jede Institution. Es wäre also nur konsequent, demnächst die Eheschließung für homosexuelle Paare vor dem Alter einer katholischen Kirche einzuklagen. In England, wo katholischen Vermittlungsstellen geboten worden ist, auch Schwulen Adoptionskinder zu vermitteln, wo die anglikanische Staatskirche verpflichtet werden soll, in ihren Kirchen Hochzeitsrituale für Schwule und Lesben anzubieten, ist man schon so weit.

Wir stehen heute also an der Schwelle eine neuen Zeitalters. Es wird nicht weniger totalitär sein als andere Epochen der Geschichte.

9 Kommentare:

Volmar hat gesagt…

Vielen Dank für dise Analyse. Doch wohin soll man auswandern? Also im Ernst, gibt es weltweit irgendein Staatsgbilde, dass sich dieser Entwicklung widersetzt?

jolie hat gesagt…

das erschütternde ist nur, dass die katholische hierarchie diesen gang in den totalitarismus garnicht bemerkt. da tun sich gruselige parallelen zu ähnlichen epochen auf...

Laurentius Rhenanius hat gesagt…

Ich danke Dir herzlich für die Analyse und die ausgezogenen Konsequenzen. Mir wird langsam mulmig...
Warum geht mir gerade jetzt der Satz "Der Daimon kann nichts erschaffen, er kann nur zerstören!" durch den Kopf?
Ich glaube nicht an Verschwörungen von Freimaurern oder Kreisen, die sich in Luxuxshotels auf irgendwelchen Bergen treffen. Ich sehe nur immer mehr den Verfall einer Kultur und Gesellschaft ähnlich wie am Ende des römischen Imperiums. Es ist nicht Planung. Es ist die in Verträge, Gesetze und Urteile gegossene Orientierungslosigkeit.
Nun mal wieder zur Sache:
Da sitzen doch sicherlich promovierte Juristen (klingt jetzt nach Kabarett, ich weiß), die wissen müßten, welche Grundlagen solche Regelungen haben, warum es allein aus mathematischen Gründen zur Unterscheidung drängt.
Gibt es keine Möglichkeit, gegen diesen Blödsinn eine Berufungsinstanz anzurufen?

Ein Monstrum von Behörden und Gerichten, das uns die frei Wahl beim Kauf von Glühbirnen verwehrt, unsinnige Gurken- und Apfelnormen erlässt, hätte man schon vor langer Zeit stoppen müssen, weit vor dem Vertrag von Lissabon!

Ich verlinke Dich mal wieder!

Johannes hat gesagt…

@Laurentius. An Freimaurerverschwörungen braucht man hier nicht zu denken, die demokratische Legitimation der EU ist ohnehin nahe null. Da handeln von jeglicher demokratischen Kontrolle unabhängige Gremien, die es in den letzten Jahrzehnten bestens verstanden haben - siehe die Volksabstimmung in Irland - sich das Volk, den großen Lümmel vom Leib zu halten also das Volk entweder von der Teilhabe auszuschließen oder für dumm zu verkaufen. Instanzen oberhalb des EuGH gibt es nicht. Die Entscheidung ist wie üblich unverständlich formuliert, läßt aber den Schluß zu, daß die Richter sehr wohl wissen, daß ihre Entscheidung einen Paradigmenwechsel darstellt.

Morgenländer hat gesagt…

@Johannes:

"Die Entscheidung ist wie üblich unverständlich formuliert, läßt aber den Schluß zu, daß die Richter sehr wohl wissen, daß ihre Entscheidung einen Paradigmenwechsel darstellt."

Steht die Entscheidung denn schon im Netz? Ich finde nur eine Pressemitteilung des EuGH:

http://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2011-03/cp110012de.pdf

Gaspares hat gesagt…

Daß unsre Lage etwa der beim Niedergang des römischen Reiches ähnelt, kommt ja wieder und wieder als These bei manchen Autoren. Es kommet immer neue Parallelen hinzu. Allerdings hat sich das antite Gedankengut in monastischen Zentren bewahrt, oder besser gesagt das, was sich mit dem Christlichen assimilieren ließ. Für Einsiedlerei und Mönchstum sehe ich eine Renaissance, allerdings nicht als ein ab sofort ankommendes Aufblühte, sondern eine Menge Arbeit zu schaffen.

Und Emiegrieren scheint auf die Dauer keine Lösung zu sein, leider ...

Johannes hat gesagt…

Die Entscheidung ist hier http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62009J0236:DE:HTML zu finden.

Laurentius Rhenanius hat gesagt…

Bruahct es wieder die Einsiedelei im Wald und die Abtei auf dem Land oder kann nicht auch das www eine Chance sein?
Hier blüht so manches auf, hier wird einiges gesammelt und zugänglich gemacht, was sonst nur mühsam zu finden war.

Gaspares hat gesagt…

Das WWW kann tehoretisch eine Chance sein, je ein Katalysator sogar. Dennoch kann es nicht anderes ersetzen.
Schließlich muß jegliche "innere Emmigration" innerlich und verschleiert bleiben, sonst gibt man sich bloß den Anschein. Im Netz kann man wohl die Früchte darstellen, doch die Arbeit muß man vorher in seiner Stube selber verrichten.