Montag, 16. Mai 2011

Eine Predigt Kardinal von Galens zum casus Gunter Sachs.


Ich habe mir nach Jahren der Abstinenz wieder den Stern gekauft, ich wollte einfach wissen, wie wohl die propagandistische Speerspitze des "New Moral Code" den "mannhaften" "Freitod" Gunter Sachs kommentieren würde. Überschrift und Kommentar im "Stern" haben mich nicht überrascht. "Die letzte Freiheit: Gunter Sachs starb, wie er lebte: selbstbestimmt". So kennen wir den "Stern", ich erinnere mich noch gut an die morbide "Wir haben abgetrieben" -Kampagne. Nun also "Ich habe mich erschossen". Nach einer lobenden Erwähnung des publizistisch wohl vorbereiteten Selbstmords Jean Amérys
"der österreichische Schriftsteller Jean Améry hat in seinem Buch "Hand an sich legen" den Freitod nicht als verwerflichen Selbstmord beschrieben, sondern als letzten Akt der Freieheit eines Menschen verteidigt. Das war damals, 1976, für viele noch eine Tabubruch."
lesen wir im aktuellen Stern:
"Als letzte Freiheit, die er sich nahm, will auch Gunter Sachs anscheinend seinen Suizid verstanden wissen. Seine Entscheidung, lieber zu sterben, als mit Alzheimer dahinzusiechen, verdient Respekt. Zur Würde des Menschen gehört auch, selbst zu entscheiden, wann es keinen Sinn mehr hat."
Und wann macht es keinen Sinn mehr? Ich glaube, daß man den folgenden Satz, immer und immer wieder lesen sollte, und ihn sich einprägen sollte:
Der Verlust der geistigen Kontrolle über mein Leben wäre ein würdeloser Zustand, dem ich mich entschlossen habe, entschieden entgegenzutreten.
Wer also die "geistige Kontrolle" nicht mehr besitzt ist "würdelos" mit der Folge, daß diesem Zustand "entschieden entgegenzutreten" ist. Daß Sachs sich ja gewissermaßen selbst entschieden entgegentritt, macht es nicht besser, denn es geht ihm ja um den Zustand, dem entgegenzutreten ist.

Ganz besonders entschieden sind bekanntlich die Nazis diesem "Zustand" entgegengetreten. Kardinal von Galen hat in seiner berühmten Predigt vom 3. August 1941 die Theorie von der Würdelosigkeit des "lebensunwerten Lebens" Geisteskranker wie folgt kommentiert:
“Seit einigen Monaten hören wir Berichte, dass aus Heil- und Pflegeanstalten für Geisteskranke auf Anordnung von Berlin Pfleglinge, die schon länger krank sind und vielleicht unheilbar erscheinen, zwangsweise abgeführt werden. Regelmäßig erhalten dann die Angehörigen nach kurzer Zeit die Mitteilung, der Kranke sei verstorben, die Leiche sei verbrannt, die Asche könne abgeliefert werden. Allgemein herrscht der an Sicherheit grenzende Verdacht, dass diese zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selbst eintreten, sondern absichtlich herbeigeführt werden, dass man dabei jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfe sogenanntes lebensunwertes Leben’ vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert. Eine furchtbare Lehre, die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will, die die gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden, Krüppel, unheilbar Kranken, Altersschwachen grundsätzlich freigibt!"
"Hast du, habe ich nur solange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind, solange wir von anderen als produktiv anerkannt werden? Wenn man den Grundsatz aufstellt und anwendet, dass man den ‘unproduktiven’ Mitmenschen töten darf, dann wehe uns allen, wenn wir alt und altersschwach werden! Wenn man die unproduktiven Mitmenschen töten darf, dann wehe den Invaliden, die im Produktionsprozeß ihre Kraft, ihre gesunden Knochen eingesetzt, geopfert und eingebüßt haben! Wenn man die unproduktiven Mitmenschen gewaltsam beseitigen darf, dann wehe unseren braven Soldaten, die als schwer Kriegsverletzte, als Krüppel, als Invaliden in die Heimat zurückkehren! Wenn einmal zugegeben wird, dass Menschen das Recht haben, ‘unproduktive’ Mitmenschen zu töten - und wenn es jetzt zunächst auch nur arme, wehrlose Geisteskranke trifft -, dann ist grundsätzlich der Mord an allen unproduktiven Menschen, also an den unheilbar Kranken, den arbeitsunfähigen Krüppeln, den Invaliden der Arbeit und des Krieges, dann ist der Mord an uns allen, wenn wir alt und altersschwach und damit unproduktiv werden, freigegeben. Dann braucht nur irgendein Geheimerlaß anzuordnen, dass das bei den Geisteskranken erprobte Verfahren auf andere ‘Unproduktive’ auszudehnen ist, dass es auch bei den unheilbar Lungenkranken, bei den Altersschwachen, bei den Arbeitsinvaliden, bei den schwerkriegsverletzten Soldaten anzuwenden ist. Dann ist keiner von uns seines Lebens mehr sicher. Irgendeine Kommission kann ihn auf die Liste der ‘Unproduktiven’ setzen, die nach ihrem Urteil ‘lebensunwert’ geworden sind. Und keine Polizei wird ihn schützen und k e i n Gericht seine Ermordung ahnden und den Mörder der verdienten Strafe übergeben!"
Nun wissen wir nicht, was Gunter Sachs bei seinem Selbstmord wirklich angetrieben hat. Der eigentümlich verquere Satz, in dem sich Sachs selbst gegenüber tritt, könnte vielleicht auch Ausdruck einer Erkrankung sein. Aber die Sätze, für die er jetzt von den Propagandisten des neuen moralischen Codes bejubelt wird, offenbaren ihren fatalen Sinn, wenn man sie auf den "assistierten Freitod" einer artikulationsunfähigen Person bezieht.

Erst vor nicht langer Zeit, hat der Gesetzgeber unseres Landes den assistierten Selbstmord durch Unterlassen legalisiert, die Gerichte haben die Neuregelung umgesetzt. Das Perfide an dieser Gesetzgebung ist, daß die Tötung einer artikulationsunfähigen Person schon dann legal ist, wenn es dem "mutmaßlichen Willen" dieser Person entspricht. Wenn aber nun Gunter Sachs nicht nur für sich, sondern auch für andere diesen mutmaßlichen Willen artikuliert, wenn sich die Meinung durchsetzt, daß ein Alzheimer-Kranker in der Regel lieber sterben als leben will, gibt es keine argumentative Schranke mehr gegen den assistierten "Freitod" eines Dementen.
Und keine Polizei wird ihn schützen und kein Gericht seine Ermordung ahnden.

3 Kommentare:

Pro Spe Salutis hat gesagt…

"Seine Entscheidung, lieber zu sterben, als mit Alzheimer dahinzusiechen, verdient Respekt", so der Stern.

Die Entscheidung, weiterzuleben und mit Alzheimer dahinzusiechen verdient dann ... was?

Erinnert mich einmal mehr an ein Schiller-Zitat, auf das Viktor Klemperer in "LTI" rekuriert: "Sprache, die für dich dichtet und denkt".

Eugenie Roth hat gesagt…

In Holland werden jährtlich 250 Personen umgebracht, weil man ihnen eine Diagnose nicht zumuten kann oder aus ähnlichen wichtigen Gründen. Man spricht mit den Angehörigen, die stimmen zu, daß der Kranke von seiner Erkrankung nichts erfährt - oder man sagt ihm, man gebe ihm die Spritze, damit die Schmerzen besser werden. Wer lässt sich bei einem solchan Angebot nicht gerne spritzen? ...

Johannes hat gesagt…

@ Eugenie: Robert Spaemann spricht von über tausend, die in Holland jährlich gegen ihren ausdrücklichen Willen den "humanen" Freitod gewählt bekommen.