Das Rasiermesser ist nun zum legitimen Mittel der legalen Sterbehilfe avanciert. So könnte man diese Entscheidung des BGH interpretieren.
In einer Entscheidung vom heutigen Tag hat der BGH die erstinstanzliche Verurteilung eines Sterbehelfers der besonders rabiaten Art aufgehoben. Der Angeklagte war ein auf Medizinrecht spezialisierter Anwalt. Seine Mandantin war die Betreuerin und Tochter einer Frau, die seit Jahren im Wachkoma lag. Die Patientin wurde seit Jahren über eine PEG-Sonde ernährt. Zunächst hatte sich die Betreuerin mit dem Heim darauf geeinigt, daß die künstliche Ernährung beendet werde.
Aus Gründen, über die das Urteil nichts sagt, machte die Heimleitung ihr Einverständnis rückgängig, und ließ die Sonde gegen den Willen der Betreuerin erneut legen. Der Angeklagte P. beriet seine Mandantin in der Weise, daß er ihr riet, den Schlauch der PEG Sonde zu durchschneiden. Die betreute Frau überlebte zwar diesen Eingriff, starb aber 14 Tage später. Alleingelassen von ihrer Familie, gegen die die Heimleitung Hausverbot verhängt hatte.
Das Landgericht würdigte die Beratung des Kollegen, indem es die Betreuerin wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums freisprach, den Rechtsberater aber wegen versuchten Totschlags zu einer Bewährungsstrafe verurteilte. Im Verfahren hatte sich die Betreuerin darauf berufen, daß ihre Mutter ihr gegenüber bei einem beiläufigen Gespräch erklärte habe, sie wünsche grundsätzlich keine lebensverlängernden Maßnahmen.
Der BGH sprach P. nunmehr frei.Eine Auseinandersetzung mit der komplizierten Rechtsprechung zur Frage der Wirksamkeit einer Patientenverfügung ersparte sich das Gericht. Nachvollziehbar, aber methodisch nicht ganz sauber, berief sich das Gericht stattdessen auf die Regelung des seit 1.9.2009 geltenden Patientenverfügungsgesetzes. Nach § 1901a BGB ist nämlich mitterweile jede "Patientenverfügung" für den Behandler verbindlich, auch dann wenn sie nur mündlich erklärt worden ist. Die Rechtsauffassung des Landgerichts, das insbesondere darauf abgestellt hatte, daß hier kein passives Unterlassen, sondern ein aktives Tun erfolgt sei, lehnte der BGH ausdrücklich ab.
Das Urteil setzt das von einer starken Minderheit der Bundestagsabgeordneten abgelehnte Patientenverfügungsgesetz konsequent um. Kritik an diesem Urteil hat der BGH nicht verdient, die Kritik, die im übrigen sehr leise geworden ist, verdient der Gesetzgeber.
Allerdings haben angeblich "Sprecher aller politischen Parteien", die Bundesjustizministerin Leutheuser-Schnarrenberger (Humanistische Union) und die Evangelische Kirche das Urteil begrüßt. Der Marburger Bund warnte vor Willkür, die Deutsche Hospizstiftung sprach von einem "Schwarzen Tag für alle Schwerstkranken."
Das Urteil hat - da es das Patientenverfügungsgesetz konsequent umsetzt - eine merkwürdige Konsequenz. Atheisten sterben jetzt schneller.
Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behandlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.So steht es in § 1901a II BGB. Es gilt der "mutmaßliche Wille", auch frühere mündliche Äußerungen, das "Vier-Augen-Gespräch ohne Zeugen", maßgeblich sind aber auch ethische oder religiöse Überzeugungen und "persönliche Wertvorstellungen". Für Mitglieder der Humanistischen Union ist die Sache daher jetzt ganz klar. Ratsch!
Das Urteil ist unter anderem aus Verfahrensgründen fragwürdig. Das Vorgehen des Kollegen trägt Züge von Selbstjustiz. Niemand hätte ihn daran gehindert, eine Beendigung der künstlichen Ernährung in einem ordentlichen Verfahren durchzusetzen, in dem gegebenenfalls unter Hinzuziehung medizinischer Gutachter und nach ordentlicher Beweisaufnahme eine Entscheidung im Sinne der Angehörigen hätte ergehen können. Der BGH stellt den für alle Rechtsgebiete geltenden Grundsatz infrage, nach denen eine Selbstexecution nur in äußersten Notfällen gerechtfertigt ist. Ebendies hat das Landgericht aber mit Recht in seiner Entscheidung in den Vordergrund gestellt.
Einem Arbeitnehmer, dem von seinem Arbeitgeber der lange Zeit vorgebuchte Urlaub zu Unrecht verweigert wird, und der trotzdem in Urlaub fährt, darf zu recht gekündigt werden, weil es ihm ja möglich war, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. In einem Fall wie diesem legitimiert der BGH die Selbstjustiz. Ein Unding.
3 Kommentare:
Bei solchen Fällen muss ich immer an einen lieben Mitchristen denken, der einmal erzählte, dass seine Mutter nach jahrelangem Koma unerwartet wieder auffwachte und sich bei seiner Frau, also ihrer Schwiegertochter entschuldigte, mit der sie seit der Hochzeit auf Kriegsfuß stand und im schlimmsten Streit lag. Sie versöhnten sich, regelten ansonsten auch noch einiges einvernehmlich und die Mutter empfing noch die Sterbesakramente. Einige Wochen danach starb sie friedlich und versöhnt im Kreise der Familie.
Wenn ich das so lese, frage ich mich, ob der BGH es nicht einfach nur falsch machen konnte... In was für schwindelnde Höhen muss sich die Justiz da begeben! Können solche Fragen durch logische Argumentation beantwortet werden, in denen so viele widerstrebende Gefühle stecken?
Hallo.
Ich mochte mit Ihrer Website materamata.blogspot.com Links tauschen
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