Montag, 25. Oktober 2010

Europa ohne Mitteldrümmel


Ja die tolle Rede unseres Präsidenten mit der Quintessenz "Der Islam gehört zu Deutschland" geht und ging ja nicht nur mir durch den Kopf. Nun, nachdem First Patchwork in der Türkei erklärt hat, daß das Christentum zur Türkei gehört, bin ich irgendwie beruhigt. Sieht man beide Reden zusammen, so meint das rätselhafte "gehört zu" schlicht das schlechthinnige Da-Sein als solches. Denn daß ansonsten der Islam mit Millionen von Gläubigen und tausenden von Moscheen in Deutschland irgendwie anders zu Deutschland gehört, als das Christentum zur Türkei, wo gerade mal ein paar 10.000 Menschen aller Konfessionen, ein ganzes Promille der Bevölkerung, sich noch christlich nennt, ist doch eindeutig.

Macht man es an den Zahlen fest, dann gehört das Christentum in etwa in der selben Weise zur Türkei, wie der Hinduismus zu Deutschland, es ist eben irgendwie da. Also doch eine Aussage, die sich in ihrer Banalität kaum überbieten läßt. Oder nicht? Wenigstens ein deutscher Bischof hat dem BuPrä widersprochen - oder auch nicht.

Und hat ebenfalls Widerspruch erfahren. Nicht nur von Patrick Bahners, sondern Uúnter anderem von den *Piep*liberalen.
Die deutsche Verfassungsgeschichte würde ... verklärt, wenn das Grundgesetz als Entwicklung aus dem "christlich-jüdischen Erbe" interpretiert würde. Das Christentum ist nicht die deutsche Staatsreligion, sondern ein persönliches Bekenntnis der Bürger. Tatsächlich reichen die Wurzeln unserer Verfassungsidee zurück nach Athen und Rom, ihre Prinzipien wurden in der Aufklärung freigelegt und seit der Französichen Revolution erkämpft - oft genug gegen den Widerstand der Kirchen.
So der Generalsekretär der FDP, Christian (sic!) Lindner in der FAZ vom 18. Oktober. Nun wäre es nicht schwer, als Volljurist über den studierten Politologen abzulästern, der Öffentliches Recht offenbar nur im Nebenfach belegt hat. Ein Blick in das Grundgesetz genügt doch schon, die These des Herrn zu widerlegen.
Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.
Verantwortung vor Gott, so sahens die Verfassungseltern (um es mal korrekt in vorblldlich inklusiver language zu sagen). Und die sahen es nicht mal eben so sondern aus gutem verfassungshistorischen und rechtsphilosophischem Grund. Was man vielleicht am dritten Satz des obigen Zitates noch ein wenig klarer darstellen kann. Der zeitgenössischen Geschichtsschreibung zufolge hat das Menschsein kulturell mit Rom und Athen begonnen, um sich dann in Aufklärung und französischer Revolution endgültig Bahn zu brechen. Der Weltgeist, um es hegelianisch zu sagen, hat also gewissermaßen zwischen Absetzung des letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustulus im Jahre 476 und der Schließung der Platonischen Akademie im Jahre 529 durch den oströmischen Kaiser Justinian I. bis 1789 mal eben Pause gemacht.

Europa ohne Mitteldrümmel. Eintausendzweihundertsechzig Jahre (jüdisch-christliche) mittelalterliche Fünsternuß. Besieht man sich diese These, dann kommt man vor allem zu einem Urteil: daß der Liberalismus, zumindest der deutsche dieser Tage, völlig auf den Hund gekommen ist.
Es gibt drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat: Golgatha, die Akropolis in Athen, das Capitol in Rom. Aus allen ist das Abendland geistig gewirkt, und man darf alle drei, man muss sie als Einheit sehen.
So hören wir es noch im Jahre 1950 von dem wohl bekanntesten Liberalen der Nachkriegszeit, Theodor Heuß. Der wiederum gewußt haben wird, daß er nicht das copyright für diesen genialen Satz geltend machen kann. Diese Ehre gebührt Gonzague de Reynold, einem schweizerischen katholischen Konservativen. Es gab also einmal eine Zeit, da haben selbst Liberale gewußt, daß die auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der, wie es das GG sagt, unantastbaren Würde des Menschen gegründete Kultur der "freien Völker der westlichen Welt" Wurzeln hat. Nicht nur römisch-griechische, sondern römisch-griechisch-christliche Wurzeln.

Der fadenscheinige Legalismus und Positivismus der von Herrn Lindner herbeigeschriebenen republikanischen Offensive hat einen gewaltigen Pferdefuß. Sofern Verfassung und Recht nicht im (römisch-griechisch-christlichen) Naturrecht wurzeln, endet´s in der Dikatur des bloß Konventionellen, schlimmstenfalls im Terreur der blauen oder roten Jakobiner.

Das heutige Bild hat wenigstens ein griechisches Sujet. Orestes. Dargestellt von meinem Lieblingsmaler Bouguereau.

5 Kommentare:

Der Herr Alipius hat gesagt…

Sehr fein!

Yon hat gesagt…

Meik Gerhards hat diesen Satz von den drei Hügeln ein bißchen ausführlicher durchgearbeitet, vor allem dann auch im Blick auf den Islam:
Golgatha und Europa: Oder: warum das Evangelium zu den bleibenden Quellen des Abendlandes gehört, Göttingen 2007.

nikolaus hat gesagt…

Lieber Johannes,

Ihr Eintrag ist wirklich sehr gut, wenn ich mir diese Wertung als Laie erlauben darf!

Hier ist vielleicht noch ein interessanter link: http://www.law.northwestern.edu/journals/jihr/v2/2/2.pdf

Johannes hat gesagt…

@nikolaus. link tut leider nicht.

Anonym hat gesagt…

@johannes.
Sorry, ist eine pdf-Datei: http://www.law.northwestern.edu/journals/jihr/v2/2/2.pdf

Der Artikel ist von Brian Tierney und heißt "The Idea of Natural Rights-Origins and Persistence".

Viele Grüße

nikolaus