Donnerstag, 15. Juli 2010

Nicht die Gläubigen verlassen uns...

sondern die Ungläubigen.

Ich widerspreche nur ungern (gelogen; ich widerspreche von Berufs wegen), jedenfalls widerspreche ich ungern Alipius. Aber diesmal muß es sein. Ich widerspreche der These - die wohl eher eine Vermutung ist - daß uns die "Gläubigen" verlassen. Gemeint ist es sicher anders, aber die Wortwohl ist irreführend. Nicht die Gläubigen verlassen uns, sondern die Ungläubigen. Nicht die verlassen die katholische Kirche, die sich den Katechismus zu Herzen nehmen, ihrer Sonntagspflicht genügen und darüber hinaus noch viel mehr tun, die den Heiligen Vater in Rom nicht nur so nennen, sondern ihn auch dafür halten. Die verlassen die Kirche, deren Bindung an den Glauben ohnehin schwach ist, und die Zahl dieser eher Ungläubigen als Gläubigen ist in Deutschland hoch.

In Deutschland bezeichnen sich nur 43 % der Bevölkerung als religiös, weit weniger als formal einer Kirche oder Religionsgemeinschaft (66 %) angehören. Es sind diese reliös eher indifferenten, die in Krisenzeiten wie diesen geneigt sind, die Kirche zu verlassen.
Ob jemand einen Kirchenaustritt erwägt, hängt in erster Linie von seinen religiösen Bindungen ab. Konfessionsmitglieder mit starker religiöser Verankerung sind kaum für Austrittsgedanken anfällig, dagegen sehr wohl diejenigen, in deren Leben Religion eigentlich keine nennenswerte Rolle spielt. Von den Konfessionsmitgliedern, für die der Glauben eine große Rolle spielt, haben 9 Prozent schon einmal an einen Austritt gedacht, von den religiös völlig Indifferenten 69 Prozent.
Sagt uns Allensbach.

Noch einer weiteren Alipius-These bin ich geneigt zu widersprechen.
wo der schwindende Katholizismus ein Vakuum entstehen läßt, drängt das nach, was am nächsten sitzt. Und das ist zumindest in Europa immer noch der Protestantismus.
Die These widerspricht den nackten Zahlen der Statistiker. Der Kirchenaustritt führt nur in den seltensten Fällen zu einer anderen Kirche, in den meisten ins Vakuum. Und noch immer hat die Ev.Ki. mehr mit Austritten zu kämpfen, als die katholische.Kirche. Wie nicht nur bei Allensbach. nachzulesen, ist die religiöse Bindung der Protestanten geringer als die der Katholiken und das wachsende Spektrum der Konfessionslosen speist sich vor allem aus dem protestantischen Reservoir. 19 % der Konfessionslosen war einmal katholisch aber 35 % waren evangelisch.

Die religiöse Lücke wird - Standarthema dieses Blogs - vielmehr gefüllt mit der Sakralisierung der Person, der Gesellschaft und der Politik. Die Sozialisten hatten schon immer den Nimbus einer ersatzreligiösen Bewegung. Bekanntlich rettet uns keine höhres Wesen. Und die Ökos habe ich schon deshalb weit hinter mich gelassen (ich habe es getragen fuffzehn Jahr), weil der pseudoreligiöse Glaube an die Reinheit und Wahrheit eines in weiten Teilen aus den 70er Jahren stammenden Programms alles überstrahlt, vor allem die politische Vernunft.

Nicht zuletzt dürfte der Eso-Boom vom Nachlassen der Bindungswirkung der Religion profitieren, was ja - siehe Court de Gébelin und seine Jünger - schließlich schon immer so war.

Und schlußendlich protestiere ich - jawoll - gegen die These, wir beobachteten eine "Protestantisierung" der Kirche. In liturgischer Sicht mag dies stimmen, in ethisch-moralischer Sicht stimmte das noch nie. Schon Max Weber hat in seiner zugegeben milde antikatholischen Studie über Protestantismus und Kapitalismus darauf hingewiesen, daß der "moralische Rigorismus" der Calvinisten stärker ist, und immer stärker war, als der der in gewisser Weise stets geduldigeren und liberaleren katholischen Kirche.

Kandidierte nicht gerade vorgestern ein *piep*liberaler Pro-Choice-Katholik (Kerry) gegen einen in ethischen Fragen wesentlich standhafteren Pro-Life-Protestanten (Bush)?

Sicher, die mehrheitlich *piep*liberale Landeskirche kann man in fast jeder Hinsicht in der Pfeife rauchen, doch es gibt Traditionen und Vereine, die eine aufrecht-christliche Haltung pflegen. Auf das flammende Plädoyer evangelischer Diakonissen für das Zeichen der Ehelosigkeit habe ich ja schon hingewiesen. Und auf die Lehren des Kulturkampfes. Da waren es durchaus nicht die Protestanten, die gegen die Katholiken "auf der anderen Seite der Barrikade" standen. Und das Zentrum war zwar mehrheitlich katholisch, aber keinesfalls eine Konfessionspartei.

Wir sollten uns klar machen, daß Christen entgegen den Mitgliedsstatistiken in unserem Land längst eine kleine Minderheit darstellen, bedauerlicherweise vor allem unter den Jüngeren. Doch das Bewußtsein, eine Minderheit zu sein, kann auch Motor einer religiösen Gegenbewegung sein. So steigt die Identifikation mit der eigenen Kirche bei den verbliebenen Protestanten wie Katholiken:
Am Beginn der neunziger Jahre verbanden 52 Prozent der Konfessionsmitglieder mit ihrer Mitgliedschaft die Möglichkeit, zum Beispiel die Heirat und die Geburt eines Kindes gebührend zu feiern, heute 65 Prozent. Ruhe, Gelegenheit zu Reflexion und Meditation sahen zu Beginn der neunziger Jahre 25 Prozent als Gratifikation ihrer Kirchenmitgliedschaft, heute 39 Prozent. Der Anteil, der aus seiner Kirchenmitgliedschaft Trost in schwierigen Lebensmomenten zieht, hat sich von 25 auf 33 Prozent erhöht.
Und gerade unter den Jugendlichen, die in ihrer Altersgruppe noch mehr zu einer religiösen Minderheit gehören, als die Älteren, wächst neue Stärke, die das Überleben der Religion wahrscheinlicher scheinen läßt, als ihr, wie es Marx nannte, "Absterben".
Die Minderheit der religiösen jungen Menschen unter 30 Jahren unterscheidet sich in vieler Hinsicht von den religiös indifferenten Altersgenossen: durch eine stärkere Familienhinwendung, ein überdurchschnittliches soziales Verantwortungsgefühl, Aufgeschlossenheit, Bildungsorientierung und eine signifikant größere Bereitschaft, sich mit gesellschaftlichen Entwicklungen wie mit Fragen nach dem Lebenssinn auseinanderzusetzen, sowie unterdurchschnittlich ausgeprägten Materialismus.
Unter der jungen Generation sind die Christen in einer ähnlichen Lage wie es die Christen am Beginn des christlichen Zeitalters waren. Sie waren in der Minderheit, aber sie waren Anhänger einer zukunftsfähigen Moral, sie waren sozial verantwortlicher, politisch engagierter, gebildeter und leistungsfähiger als die Anhänger einer zum Sterben verurteilten Kultur. Die Kultur des Todes ist selbst nicht überlebensfähig.

6 Kommentare:

Der Herr Alipius hat gesagt…

Ich gebe Dir Recht: Die Ungläubigen verlassen uns. Ich habe da in der Tat das falsche Wort gewählt. Das mit dem nachdrängenden Protestantismus war allerdings nicht quantitativ gemeint, sondern eher inhaltlich/formal: Wo ein katholischer Priester sich sich in Lehre und Liturgie nicht mehr ans Katholische hält, hat am ehesten das Protestantische die Chance, Lücken zu füllen.

Johannes hat gesagt…

Noch einmal: Einspruch Eurer Ehren! Mich hat als ehemals lutherischer Christ immer schon die sogenannte Handkommunion gestört. Ich habe es lange nicht gewagt, mich dem zu widersetzen. Aber ich war die Mundkommunion in beiderlei Gestalt gewohnt, und an den Moment meines ersten Abendmahls in einer protestantischen Kirche erinnere ich mich noch heute mit einer fast filmischen Genauigkeit. Es war ein feierlicher Moment. Haben nicht die Allerweltskatholiken die Kommunionbänke entfernt? Die Lutheraner des Nordens und der SELK haben sie bis heute bewahrt. Ein Abriß wäre wohl genau so unmöglich, wie die Abschaffung der Luther-Bibel, die alle Bibeln "in heutiger Sprache" überstanden hat. Und natürlich auch die "Bibel in gerechter Sprache" überstehen wird.

Der Herr Alipius hat gesagt…

Nur mal drei Beispiele, um zu illustrieren, was ich meine:

Wenn katholische Religionslehrer an der Realpräsenz herumdoktorn, dann werden in der Regel von denelben Lehrern die Köpfe der Schüler mit einer eher protestantischen Auffassung gefüllt.

Wenn es um ein Re-Design der Ehe und bestimmter Sexualfragen geht, schreit alles nach dem protestantischen, zölibatsfreien Modell oder auch nach schwulen Priestern, wie sie z.B. in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika möglich sind oder nach der Schwulenhe, wie sie z.B. in der United Church of Christ/USA gestattet ist.

Der Protestantin Margot Käßmann wurde unlängst im Frauendom in München zugejubelt, weil sie den Nicht-Mehr-So-Richtig-Katholiken ein Loblied auf die Pille sang.

etc...

Johannes hat gesagt…

Wir Deutschen neigen dazu, den Protestantismus mit den jeweils protestantischen Landeskirchen zu verwechseln. Auch die EKD neigt dazu. Kaßmann leitet ihre schrägen theologischen Ergüsse gerne mit den Worten "nach protestantischer Lehre" ein. Sie pflegt das völlig falsche Bild, daß gewissermaßen sie selbst das protestantische Lehramt repräsentiert. Aber den Protestantismus gibt es nicht. Anglikaner und Lutheraner können in gewissen Beziehungen liturgisch konservativer sein, als Katholiken. So hat etwa der begnadete evangelische Dichter Jochen Klepper eine wundervolle Übersetzung des Hymnus der Prim geschrieben, den das Vat. II abgeschafft hat. etc. Klepper, so können wir vermuten, betete also das Stundengebet

In jedem Fall gilt, daß das evangelikale (calvinistische) Spektrum des Christentums das ethisch-moralisch rigoreseste ist. Rigoroser als der Katholizismus, wer Christen sucht, die vor- und außerhehelichen Geschlechtsverkehr ablehnen, Ehescheidung für eine schwere Sünde halten, Abtreibung für ein Verbrechen, künstliche Empfängnisverhütung ablehnen, wird eher in diesem Spektrum fündig werden. So ist die deutsche TLW eine evangelikale, und keine katholische Veranstaltung. Nicht der katholische Kirchentag, sondern das evangelikale Christival war Objekt des lesbi-femi-schwulen Kirchenhasses etc. Die Fronten verlaufen anders, sie verliefen - siehe den Kulturkampf - schon immer anders. Was hierzulande unter "ökumenisch" verstanden wird - zum Beispiel die Liedlein der AÖL war noch nie ökumenisch sondern meist nur zeitgeistig.

Der Herr Alipius hat gesagt…

Das stimmt wohl mal. Ich werde mir vielleicht einen Begriff für das, was ins Vakuum nachdrängt, suchen müssen, der nicht zu sperrig ist und das Phänomen einigermaßen verständlich beschreibt.

Hast Du 'ne Idee?

Johannes hat gesagt…

Ersatzreligion. Jeweils mit Präfix. Öko-, Sozi-, Eso-, usw. Spiritueller Muggefug.