Sonntag, 7. November 2010

Liturgisches Scheibenschießen


Die, wie es die Frau Fürstin nennt, Ich-bin-katholisch-tschudigung-soll-nicht-wieder-vorkommen-Attitüde ist ja weit verbreitet. Als Neukatholik habe ich schon viel zu häufig feststellen müssen, daß meine Umwelt von mir erwartet, daß ich ob meines Katholischseins vor Scham unablässig in den Boden sinken müßte. (Nebenbei: geht das überhaupt?) Insbesondere liebe oder auch weniger liebe Mitkatholiken einer gewissen Webart versäumen fast keine Gelegenheit um sich in der Form des "Ich bin katholisch aber ..." (beliebiges aus dem sattsam bekannten Reformkatalog bitte hier einsetzen) zu äußern.

Doch irgendwie beschleicht mich das dumme Gefühl, daß der Kathomasochismus seine Wurzeln in gewissen, vielleicht nicht ganz gelungenen hochoffiziellen Dekreten der Kirche selbst hat. So läßt sich doch kein katholischeres Fest - sehen wir mal von Fronleichnam ab - als Allerheiligen/Allerseelen denken. Aber gerade dieses Fest, oder genauer dieses Ensemble von Festen hat es schwer getroffen:
  • schon in den fünfziger Jahren entfiel die Vigil von Allerheiligen, die doch seit dem 12. Jahrhundert gefeiert wurde, und seit dem 15. Jahrhundert für die ganze Kirche verbindlich wurde
  • mit der Liturgiereform verschwand auch das "Fasten vor dem Fest", wie überhaupt die Fastenregelungen insgesamt bis auf fast schon alberne Reste verschwanden
  • mit der Liturgiereform der 60iger entfiel die Allerheiligenoktav, wurde das Fest also förmlich degradiert.
  • mit der Liturgiereform wurde Schwarz als liturgische Farbe abgeschafft, so daß wir uns nun aussuchen dürfen, welche Farbe denn an Allerseelen sowie an Totenmessen angesagt ist. Nach alter auch säkularer Tradition ist Schwarz die Farbe der Trauer. Nicht so bei den Katholiken.
  • Die Sequenz dies irae, die doch von fast jedem Komponisten von Rang und Namen (Berlioz, Haydn, Liszt, Mahler, Mozart, Verdi usw. usf. vertont wurde, verschwand aus der Liturgie, blieb nur den Konzertsälen erhalten
  • Die Abschaffung der Sequenz - war sie zu "makaber"? -  bedeutet eine weitere Degradierung des Festes Allerseelen, denn wichtige Feste wurden und werden unter anderem liturgisch durch eine Sequenz "geadelt"
Liturgisches Scheibenschießen, oder gibt es noch einen Festzyklus der nachhaltiger ruiniert wurde?

Ganz abgesehen davon, daß etwa durch den Entfall der Vigil zu Allerheiligen das Bewußtsein davon schwand, daß "Halloween", also (All) Hallow(s) e(v)en(ing), ursprünglich ein genuin christliches Fest war, und kein neopaganer Maskenball. Es rächt sich, wenn die Kirche das Feld räumt. Und dieses Feld - Halloween nämlich - hat sie 1955 geräumt. Wenn sich die Kirche gewissermaßen liturgisch selbst ins Museum notabene den Konzertsaal befördert, muß sich niemand wundern, wenn sich die säkulare Gesellschaft der "gruseligen" Botschaft der katholischen Totenfeste bemächtigt.

Über die Qualität des säkularen Halloween braucht man nicht zu diskutieren, aber dürfen wir uns wirklich darüber beschweren, daß nun die Neuheiden, die Geschäftemacher, die Spaßgesellschaft das "makabre" Fest Halloween als Event vermarkten? Dabei haben die Kinder, die sich mit Begeisterung als Geister und Knochenmänner verkleiden, wahrscheinlich besser den Sinn der "dia de muertos" verstanden, als die lieben Kirchenchristen, die mit Kerzchen und Traktätchen oder gar mit "Lutherbonbons" dagegen halten.

Introitus (Judicant sancti), Graduale (Exsultabunt Sancti), Offertorium (Exsultabunt sancti) und Communio (Justorum animae) finden sich nach wie vor, wenn auch an derer Stelle im Graduale Triplex. Also nichts hindert uns daran, die Nacht zurückzuerobern. Es sei denn, wir fürchten uns vor Knochenmänner und Kürbisköpfen.


6 Kommentare:

Pro Spe Salutis hat gesagt…

Scheibenschießen? Gibts hier als Brauchtum zur Winteraustreibung einerseits und in der Liturgie in Robbies Reich andererseits ganzjährig. Ich ziehe freilich Kal. 7,92 × 57 mm resp. 8×57IS vor, gänzlich außerhalb der Liturgie vor.

Teresa hat gesagt…

Die Streichung der Vigil war mir gar nicht bewußt. In meinem Schott (1962) ist sie natürlich auch nicht aufgeführt. Nun habe ich meinen Flohmarktfund (Schott von 1953) hervorgeholt und im Vergleich festgestellt, dass die Streichung der Vigil auch noch diese Feste betrifft: des Hl. Andreas, der Apostelfeste, des Hl. Bartholomäus, der Erscheinung des Herrn, des Hl. Jakobus, des Hl. Matthäus, des Hl. Matthias, der Hll. Simon und Judas, des Hl. Thomas, von der Unbefleckten Empfängnis Mariä.
Warum wurden sie eigentlich gestrichen? Ich bemerke beschämt meine liturgische Ahnungslosigkeit...

Imrahil hat gesagt…

Daß Schwarz abgeschafft wäre, ist meines Wissens ein Irrtum. Violett ist nur erlaubt als Alternative. Zumindest wenn ich richtig informiert bin.

jolie hat gesagt…

diese verstümmelung ist mir in diesem jahr erst so richtig bewusst geworden. da braucht man sich nicht zu wundern, dass diese "feste" wie fremdkörper in der landschaft herumstehen.

Anonym hat gesagt…

Lieber Imrahil!
Sie sind sehr wohl richtig informiert. Nur liegen Theorie und Realität wie bei Vielem dieser glorreichen Liturgiereform weit auseinander. Wenn ich irgendwo bei einer Beerdigung um ein schwarzes Meßgewand bitte, heißt es gleich: "Ach, so einer sind sie." Falls überhaupt noch eines in der Sakristei aufzutreiben ist.

Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.