Sonntag, 24. April 2011

Die Ostersequenz und das Gerücht vom Diebstahl des Leibes Jesu



Die Nacht war ziemlich kurz, die Schola am Morgen müde. Entsprechend war der Vortrag des "Victimae paschali Laudes" leider ein bißchen verstolpert. Nun ist die Ostersequenz kein ganz einfaches Stück. Sie ist, wie so vieles, heute nur in verkürzter Form gebräuchlich. Das ändert die Struktur des Vortrags. Die Sequenz ist wie die meisten Hymnen für den Wechselgesang konzipiert. Doch an einer bestimmten Stelle fehlt das "Gegenstück".

die Sequenz beginnt mit der Aufforderung zum Gotteslob.

1. Victimae paschali laudes immolent Christiani.

Christen, opfert Lob dem (geopferten) Osterlamm!

2a Agnus redemit oves, Christus innocens Patri, reconciliavit peccatores

Das Lamm errettet die Schafe, der schuldlose Christus versöhnt die Sünder mit dem Vater

2b Mors et vita duello, conflixere mirando, dux vitae mortuus, regnat vivus.

Im Zweikampf Leben und Tod, sich rätselhaft bekriegen, der Herr des Lebens, tot, herrscht (doch) lebendig.

3a Dic nobis Maria, quid vidisti in via? Sepulchrum Christi viventis et gloriam vidi resurgentis.

Sag uns Maria, was hast du unter Wegs gesehen? Das Grab des lebenden Christ sah ich, und den Glanz des Auferstandenen.

3b Angelicos testes, sudarium et vestes, surrexit Christum spes mea, praecedet suos in Galilaeam.

Sah die Engel als Zeugen, das Schweißtuch, die Binden, Christ, meine Hoffnung ist erstanden, den Seinen geht er voraus nach Galilaea.

Es folgt in der ursprünglichen Version das heute fehlende Gegenstück.

4a Credendum est magis soli, Maria veraci, Quam Judaeorum Turbae fallaci.

Der wahrhaftigen Maria (Magdalena) allein ist mehr zu glauben, als der betrügerischen Menge von Juden.

Wegen ihres als pejorativ antijüdisch verstanden Inhalts wurde die Sequenz verkürzt. Der "Betrug der Menge von den Juden (und nicht: Der Betrug der Juden)" wird allerdings von Matthäus (Kapitel 28, Vers 11-15) mit zahlreichen Details bestätigt, das Gerücht von der Entwendung des toten Leibes Jesu findet sich später im babylonischen Talmud, ist damit gleichsam Teil der offiziellen antichristlichen Polemik des nachchristlichen Judentums. In der Lesart Matthäus ist das "Gerücht" von den jüdischen Autoritäten bewußt in Umlauf gebracht worden. Liest man diesen Teil der Sequenz mit dem Bericht Matthäus als Hintergrund, ist der Text keineswegs "antijüdisch", er richtet sich vielmehr gegen die jüdischen Autoriäten, die mit allen Mitteln, auch dem der Bestechung und der bewußten Verbreitung von Unwahrheiten die zum Zeitpunkt des Todes noch nahezu ausschließlich aus Juden bestehende christliche Sekte bekämpften.

4b Scimus Christum surrexisse. a mortuis vere, tu nobis victor Rex, miserere.

Wir wissen, daß Christus wahrhaft von den Toten auferstanden ist, Du, unser siegreicher König, erbarme Dich unser. Halleluja.

Die Struktur der Sequenz in der Form von Doppelstrophen zeigt, daß sie in der Regel im Wechselgesang von Halbchören gesungen wurde. Vers 1 wird heute meist vom ganzen Chor gesungen, folgt man den üblichen Regeln wie auch dem Sinn des Textes, der ja verschiedene Sprecher (und eine Sprecherin) vorsieht, wäre die Intonation durch den Kantor oder den Zelebranten sinngemäßer.

Die Verkürzung der Sequenz erfolgte wohl im 16. Jahrhundert, bereits im Missale von 1570 fehlt Vers 4a.

Über den Sinn kann man sich streiten. Musikalisch führte die Reform der Sequenz zum Bruch mit den Regeln des musikalischen Vortrags. Theologisch ist die Zensur eher riskant, dementiert sie doch den eindeutigen Bericht Matthäus, den man ja eigentlich als Hintergrundtext hinzunehmen muß, um diesen Vers richtig zu verstehen - daß er sich nämlich gegen die jüdischen Autoriäten, nicht gegen das jüdische Volk richtet. Wie so oft, kollidiert die durchaus nachvollziehbare Absicht, als antijüdisch zu verstehende, meist mißzuverstehende Botschaften zu vermeiden, mit dem Gebot der Authenzität, und der Autorität der biblischen Überlieferung.

Die Zensur zerstört darüber hinaus die Komposition des Textes, 4a ist der Kommentar zum Bericht der Maria, dem 3a und 3b vorbehalten ist, in der heutigen Fassung endet der Text unvermittelt und übergangslos mit dem "Scimus". Maria von Magdala ist hier Hauptperson, so wie die Frauen in den Berichten der Evangelien, insbesondere bei Johannes, die ersten Zeuginnen der Auferstehung sind, und die, die dem Herrn bis zum Ende beistehen, während - auch hier ist der Bericht bei Johannes die Ausnahme - die Jünger fliehen.

Auch die Differenz in der Frage der Zeugen zwischen den Evangelien und dem gleichsam juristisch korrekten Bekenntnis in 1. Kor. 15 3-5 gerät damit in den Hintergrund. Frauen taugten in der Rechtspraxis der Antike nicht als Zeugen, hier aber steht die "Maria veraci" als einzig wahrhafte Zeugin gegen die (männliche) "turbae fallaci". Paulus, der in dem jerusalemischen Urbekenntnis nur Männer als Zeugen kennt, steht gegen den authentischen Bericht der Evangelien, der sich als Tatsachenbericht von dem Ur-Credo absetzt. Benedikt setzt sich in seinem kürzlichen erschienen zweiten Band seines Jesus-Buchs ausführlich mit den Ursachen für diese Differenz auseinander und gibt eine plausible Erklärung. Danach ist das von Paulus wiedergegebene Urbekenntnis als Wiedergabe der rechtlichen Struktur der Urgemeinde zu verstehen, nicht aber als Tatsachenbericht.

Die Zensoren von Trient erscheinen damit in der Rückschau als Macker, die unter dem Vorwand antijüdische Mißverständnisse auszuräumen, die hervorragende Rolle der Frauen der Urgemeinde vergessen machen wollen.

Trotz des verkürzten Textes des Meßbuchs ist der vollständige Text bis in die heutige Zeit immer wieder tradiert worden. Und welchen sollen wir nun singen? Hat jemand einen Vorschlag? Ich plädiere für das Original. Als Feminist, jawoll.

Die Sequenz im Wechselgesang von Frauen und Männern zu singen, entspricht ihrem Sinn. Ist doch der Bericht der Maria von Magdala der Kern des Textes.

2 Kommentare:

Mary hat gesagt…

Haben wir heut im Stephansdom in Wien als Wechselgesang gesungen...
sehr schön!

jolie hat gesagt…

bin auch für eine widerherstellung des ursprünglichen textes. in meiner studentenzeit sollte kurzfristig sogar eine aufführung der johannes-passion von j.s. bach untersagt werden, weil sie antijüdisch sei. so gesehen müsste man ohnehin die verlesung des joh.-evangeliums in der hl. messe verbieten....