Montag, 3. Mai 2010

Alone in the dark


Als Kind plagten mich intensive Höllenvisionen. Es gab einen immer wiederkehrenden Albtraum, den ich den "Sack-Sack-Traum" nannte. Ich versuchte auf einer unendlichen Treppe im Dunklen nach oben zu entkommen, weg von einer blau glühenden Tiefe, in der ich nicht Feuer, sondern eisige Kälte wußte. Ein mächtiges Wesen verfolgte mich, und je näher es kam, desto intensiver ergriff mich die Kälte, die meine Flucht hinderte, mich lähmte, je näher dieses Wesen kam. Seine stampfenden Tritte erschütterten die Treppe, ich verlor auf meiner stets langsamer werdenden Flucht den Halt. Dann brach der Albtraum ab, immer gelang es mir, im letzten Moment aufzuwachen.

Dieser Traum hatte mit nichts zu tun, das man mir "eingeimpft" hatte, eine religiöse Erziehung fand in meinem nur noch kirchensteuerrechtlich protestantischen Elternhaus nicht statt. Auch Dante Alighieri, der weiß, daß der innerste Kreis der Hölle nicht heiß, sondern eiskalt ist, hatte ich mit fünf Jahren noch nicht gelesen. Ich wußte, daß es die Hölle gab, ich hatte sie ja hunderte Mal gesehen, und von diesem Wesen, daß ich nur als schwärzeste Finsternis ahnte, wußte ich, daß es ein schwarzer Engel gewesen sein mußte, ein Bote des Teufels.

Bald weit außerhalb jedes religiösen Zusammenhangs blieb mir die Glaubensreform erspart, und fern von jener theologischen Wassersuppenlehre, der liberalen, die im vergangenen Jahrhundert zuerst die protestantische, dann die katholische Kirche durchseuchte, blieb mir der Glauben an die Hölle erhalten. Und was ich im Unterricht meiner Kindheit lernte, blieb mir immer im Gedächtnis, dieses lutheranische "niedergefahren zur Hölle." Wieder aufgenommen in die Kirche, hörte ich mit Erstaunen, daß man nunmehr zu bekennen habe "hinabgestiegen in das Reich der Toten". Das klingt in meinen Ohren immer noch irgendwie nach tüdeldüt.

Der zornige Gott der Bibel, den ich ohne Religionslehrerbegleitung und Konfirmandenunterricht in meiner zerlesenen Konfirmandenbibel gefunden hatte, das Feuer der Hölle, die semitische Gehenna war nicht mehr. Vom Ambo her (der in Wirklichkeit meist ein Flacho ist) - und nicht mehr von der Kanzel herab - predigten nette grenzenlos verständnisvolle Pfarrer eine Eschatologie, der irgendwie der Mitteldrümmel fehlte.

"Der Ritus der Exequien soll deutlicher den österlichen Sinn des christlichen Todes ausdrücken und besser den Voraussetzungen und Überlieferungen der einzelnen Gebiete entsprechen, auch was die liturgische Farbe betrifft." Heißt es da.

Die theologische wenig bedarfte und deshalb offenherzigere Wikipedia sagt es - bezogen auf die Sequenz Dies irae - unverblümter:
Das Dies irae wird in der Liturgie der ordentlichen Form des römischen Ritus aufgrund des Bildes eines zornigen Gottes („Tag des Zornes ...“), das die Sequenz vermittelt, nicht mehr verwendet, ist jedoch beim großen Requiem zu Allerseelen zugelassen, damit der Schatz der Kirchenmusik (M. Haydn, Mozart) gepflegt werden kann.
Gut gesagt, der Satz könnte von Alois Glück sein. Wer nicht an den Teufel glaubt, der glaubt auch nicht an das Evangelium, soll Johannes Paul II gesagt haben. Wer nicht an das Gericht glaubt, glaubt auch nicht an die Auferstehung, könnte man das weiterspinnen. Für mich, der ich immer, auch wenn ich an sonst wenig glaubte, an die Hölle geglaubt habe, ist der Entfall einer Sequenz, die das Gericht in den schwärzesten Farben malt, damit die Hoffnung auf Erlösung umso heller strahlt, das Gegenteil von tröstlich.

Im Gegensatz zu den Glaubensreformern, denen es vor dem dies irae graust, war die Sequenz bei fast jedem bedeutenden Musiker der Kulturgeschichte sehr beliebt und eine Komposition wert, die Reihe der Komponisten, die das dies irae vertont haben, liest sich wie ein who is who der Musikgeschichte. Karl Jenkins Vertonung ist nur die jüngste (2005). Auch wenn die Kompositionstechnik ein bißchen nach Programmmusik riecht, ist sie doch so recht im alten Stil, der immer Heerscharen von Sängern und Musikern zusammenführt, die einen wahren Höllenlärm produzieren. (Die Filmsequenzen der Matrix sind der Musik nur unterlegt, aber mit der Erlöserfigur des Neo, der die Bewohner von Zion errettet, indem er sich selbst opfert, läßt sich eine katholische Sequenz nicht unelegant verbinden. Sieht Neos Dienstkleidung nicht einer Soutane verteufelt ähnlich?)

5 Kommentare:

Florian hat gesagt…

Wah! Du verlinkst auf Schreibmayr? Help!

Johannes hat gesagt…

OKe, wird sofort geändert.

Eugenie Roth hat gesagt…

DAS ist ein Zeugnis. DANKE

Elsa hat gesagt…

Also erstmal herzlichen Dank für meine Dosis Keanu Reeves heute!

Dann kam mich die Anmutung, als ich die Veränderung las, die du hinsichtlich der liturgischen Gepflogenheiten beschreibst, dass diese von Weicheiern für Weicheier vorgenommen worden ist.
Es mangelt überhaupt aktuell der Kirche an spirituellen cojones.

(Nein, das ist auch genau das Ding, dann hätten wir weniger sexuelle Übergriffe gehabt, wenn mal ordentlich und mit cojones Feuer und Schwefel gepredigt worden wäre. Isdochso.)

jolie hat gesagt…

warten wir einfach auf die zeiten, in denen die soutane entdeckt wird als teil der avantgarde :-)