Freitag, 29. Mai 2009

Die Europäer wählen. Wirklich?

   Nikodemus hat in einem Eintrag auf die Europawahl hingewiesen. Nun ja, mein Beruf ist der eines Fachanwalts für Verwaltungsrecht (und - gewissermaßen ein stets mitzudenkender Nebenberuf - für Verfassungsrecht). Ich habe mir die 500-Seiten-Schwarte Lissabon-Vertrag durchgelesen. Wenigstens das. Die Zahl der Fachjuristen, die sich wirklich als Experten in Sachen Lissabon-Vertrag bezeichnen dürften, wird wohl ein paar Dutzend nicht übersteigen. Obwohl für uns (Juristen) Europarecht mittlerweile alltäglich geworden ist.
   Kurz zusammengefasst halte ich dieses Werk im Einklang mit so völlig unterschiedlichen Juristen wie Peter Gauweiler und Gregor Gysi für einen Angriff auf fundamentale Verfassungsprinzipien. Beide klagen vor dem BVerfG gegen dieses Vorhaben, weil sie es für verfassungswidrig halten. Nicht etwa für verfassungswidrig im Sinn des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, sondern im Sinne jeder denkbaren, auf dem Fundament der Volkssouveränität und der Achtung vor unveränderbaren und überzeitlichen Grundrechten errichteten Verfassung jedes demokratischen Staates. 
   Ich bin nicht so vermessen, dieses Urteil in einem kurzen Blogeintrag zu begründen. Nur so viel: dieses Werk ist ein Angriff selbsternannter und demokratisch nur schwach legitimierter politischer Eliten auf das Prinzip der Volkssouveränität. Ich will versuchen, es nur an einem kleinen Beispiel zu erläutern.
   Die Juristen Europas arbeiten seit Jahrzehnten mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dies Konvention beruht auf den Verfassungstraditionen der Mitgliedsländer, sie hat sich bewährt, vor allem hat sie sich bewährt, weil sie von der traditionellen Zurückhaltung der europäischen Verfassungstradition geprägt ist. In dieser Tradition haben Grundrechte wesentlich den Charakter, daß sie den Bürger vor Eingriffen der Staatsmacht schützen sollen. Seit der Magna Charta von 1215 - die übrigens von einem Kardinal der katholischen Kirche entworfen und formuliert wurde - hat sich diese Verfassungstradition fortentwickelt zu einem Katalog von Grundrechten, der im allgemeinem für elementar angesehen wird, und der im übrigen ohne Verständnis für die jüdisch-christliche Tradition Europas überhaupt nicht zu begreifen ist.
   Mit der Grundrechtecharta, die Teil des Lissabon-Vertrages ist wird dieses traditionelle Konzept der Abwehrrechte aufgegeben. Es entsteht ein Katalog von Gestaltungspflichten, die sich letztlich nicht gegen den Staat, sondern gegen die Gesellschaft richten. Dieser Richtungswandel ist bereits teilweise in Neu-Formulierungen der EMRK umgesetzt worden, vor allem aber in der Rechtsprechung des EGMR. 
   So bedeutete in der europäischen Verfassungstradition, wie sie sich etwa im deutschen GG widerspiegelt "Gleichheit" lediglich Gleichheit vor dem Gesetz. Die Charta ist indessen vom Konzept der "Nichtdiskriminierung" geprägt. Dies ist ein anderes. Gleichheit im traditionellen Sinn verpflichtete den Staats dazu, Gleiches gleich, aber auch Ungleiches ungleich zu behandeln. Nichtdiskriminierung bedeutet das Verbot der Ungleichbehandlung. Es schließt also Gleicheit im negativen Sinne, im Sinne der gebotenen Ungleichbehandlung ungleicher Sachverhalte gedanklich gerade aus. Um es am Text zu verdeutlichen:
Art 21. Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, sind verboten
  Scheinbar kein großer Unterschied zur bisherigen Fassung. Dort wurde allerdings der Begriff der Gleichbehandlung erst 1998 durch das Verbot der Diskriminierung ersetzt. 
  Eine kleine Beifügung zeigt, worum es geht. Die Ergänzung  des bisherigen Artikels um das Merkmal "sexuelle Ausrichtung" ist ein sensationeller Erfolg der Homosexuellenlobby, der niemals gelungen wäre, wäre diese Charta nicht in den Hinterzimmern europäischer Bürokraten sondern in einem demokratischen Prozeß verabschiedet worden. Was das "gemeine Wahlvolk" im allgemeinen von solchen Artikeln hält, läßt sich in Kalifornien besichtigen. Dort hat das durchaus liberal denkende Volk in einer mit Mehrheit verabschiedeten Proposition die Homosexuellen-"Ehe"verboten. Hier wird sie ausdrücklich nicht etwa nur erlaubt, sondern als logische Folge des Konzepts der Nichtdiskrimierung zur Pflicht, die sich an den nationalen Gesetzgeber richtet. Andere Neuregelungen stehen damit in Einklang und zeigen die Richtung. Man vergleiche Art. 9 Grundrechtecharta und Art. 12 EMRK. Hier - in der Grundrechtecharta - ist nur von Ehe und Familie die Rede, es fehlt jedoch das, was in der Verfassungsdiskussion mittlerweile entscheidend geworden ist, die Definition der Ehe als grundsätzlich unauflösliche Verbindung eines Mannes und einer Frau, die auf Gründung einer Familie ausgerichtet ist. Art. 12 EMRK spricht noch ausdrücklich von Männern und Frauen, setzt also die "traditionelle" (tatsächlich naturrechtliche) Definition voraus.
   Das Prozedere spricht für sich. Die nette Frau Justizministerin würde ja gerne das Grundgesetz ändern, um Homosexuellenehen rechtlich mit der "bürgerlichen" Ehe völlig gleichzustellen. Daß dies politisch aussichtslos ist, weiß sie. Die Mühe muß sie sich aber gar nicht machen, wenn sich das Machwerk Lissabon-Vertrag durchsetzt. Wer die Rechtsprechung des EGMR kennt - in dem übrigens und zum Beispiel russische und georgische Richter für Westeuropäer verbindliches Recht sprechen - weiß, was folgen wird.
   Man merkt die Absicht. Die mögliche Umgehung demokratischer Regularien via EuroBürokratie ist genau das Problem, das z.B. ein Peter Gauweiler mit diesem Machwerk hat. Mir jedenfalls ist nicht nach der Wahl einer Partei zumute, die dieses Projekt umsetzen will. Auch wenn dieser Partei honorige Persönlichkeiten angehören mögen, denen wie mir die Linie ganz und gar nicht paßt. Nikodemus hat, denke ich, die richtige Idee.

Stephen Langton, oben erwähnter Mitverfasser der Magna Charta, wird die Pfingstsequenz zugeschrieben. Also bitte übermorgen gut zuhören. 

2 Kommentare:

Thomas hat gesagt…

Die Teilnahme an der Wahl legitimiert jene, die Lissabon wollen. Die Wahlen werden nichts verhindern, sondern die Legitimation der Befürworter stärken. Die können sich dann in den Mehrheitsverhältnissen sonnen, wohl wissend, dass die meisten Menschen gar nicht wissen, was oder wem sie da eigentlich wählen.

Einzig der Nichtwähler kann diesem unwürdigen Schauspiel die Geschäftsgrundlage entziehen. AUF wird unter Sonstiges enden. Die Nichtwähler hingegen werden auch diesmal die mit Abstand stärkste Fraktion stellen.

dilettantus in interrete hat gesagt…

Aber jetzt mal was anderes: Wo ist denn das Bild her?

Mit einem böhmischen Knödel als Magen Europas!