Montag, 7. Februar 2011

Memorandum 2011: Von der Unfreiheit eines Unchristenmenschen


Das Schlüsselwort heißt: Freiheit. Wer nach der Homepage der Verfasser des Memorandums Kirche 2011 sucht, wird unter memorandum-freiheit.de fündig. Der knappe Text enthält dreizehn Mal das Wort "frei" oder "Freiheit" in verschiedenen Zusammensetzungen und Tönungen, drei der sechs Thesen haben das Thema "Befreiung" - im wesentlich von der "bevormundenden" Kirche. Protestantische Phraseologie, die bei Protestanten meist weit kritischer gesehen wird, als bei progressiven Katholiken.

"Kirche der Freiheit" nannte der Ratsvorsitzenden der EKD Huber ein Thesenpapier, das ein Trupp evangelischer Funktionäre im Jahre 2006 verbreitete. Kirche der Freiheit - Intelligent schrumpfen (*eben!*) ist ein Interview überschrieben, das sich heute noch auf der Seite der EKD findet. Und in diesem Interview muß sich der Sozialdemokrat Huber vorhalten lassen, daß man die Parole "mehr Freiheit wagen" doch schon einmal gehört habe, von einem der bekannteren deutschen Sozialdemokraten. Recyling also allerorten. Die Evangelischen recyceln politische Parolen, der progressive Katholizismus evangelische Parolen.

Wovon man sich befreien will ist ja kaum zu übersehen: von der bevormundenden Kirche. Also alles noch mal von vorn, Reformation, diesmal von innen, oder genau gesagt von innen oben, noch genauer gesagt von der Kanzel der hochgelahrten Doctorii und Professorii herab, Aufklärung als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, Demokratisierung der Kirche à la francaise, nicht zu vergessen die sexuelle Revolution im Stile von Sartre, Beauvoir, Reich, Kommune 2 und Judith Butler.

Mich packt da schon eine gewisse Verzweiflung, wenn ich sehe, daß da wohlbestallte Beamte mit W3 aufwärts die alten Revo-Fähnchen schwenken, die ich selbst mal geschwenkt habe - was mir die W3 aufwärts allerdings ziemlich vermasselt hat. Ja, ich war ein von der Überlegenheit des Kulturprotestantismus zutiefst überzeugter junger Mann, war linksradikaler Jakobiner, lief mal mit zwei riesigen Creolen rum, weil ich Saint-Just so toll fand, und bei der Sexpol-Bewegung war ich vorne dran. Simone de Beauvoir mußte ich einfach gut finden, weil sonst mir jede Chance einen herzallerliebsten Schatz zu finden, gänzlich versperrt gewesen wäre. Und diesen ganzen Freud-Reich-Fromm-Psychomüll der 60er hab ich gefressen, bis er mir zu den Ohren rauskam.

Nun unterschreiben da mittlerweile 205 Hochschullehrer(lein?) (Tendenz steigend) ein Manifest, daß ein krudes Sammmelsurium neoprotestantischer, "aufgeklärter", jakobinischer, sexualreformerischer Ideen darstellt, an denen die katholische Kirche genesen soll. Daß die "Befreiung" von der "römischen Bevormundung" in der Geschichte meist in der Unterwerfung der Kirche unter die Macht des Staates endeten, will wohl keiner zur Kenntnis nehmen. Und daß die "sexuelle Befreiung" wie die "Befreiung der Frau" in einer im wahrsten Sinn des Wortes brutalen neuen Form der sexuellen Sklaverei endete, auch nicht.

Wie man wohl im allgemeinen übersieht, daß man mit flatternden Freiheitsfahnen in eine neue Diktatur segeln könnte, zwar nicht mehr die der absolutistischen Fürsten oder der Sansculotten, aber doch wenigstens in die des publizistischen Triumvirats BahnersDeckersPrantl.

Das gilt ganz allgemein für die typisch protestantischen "notwendigen Aufbrüche". Die Unterzeichner werden selbst nicht bestreiten, daß sie gewissermaßen eine Protestantisierung der Kirche betreiben. Aber bei so mancher Forderung ist ihnen wohl kaum klar, daß sie zum protestantischen Urprogramm gehören. Das gilt etwa für "Handlungsfeld" (ach dieser hohl blechern dröhnende Pädagogenjargon) Nr. 6:
Der Gottesdienst darf nicht in Traditionalismus erstarren. Kulturelle Vielfalt bereichert das gottesdienstliche Leben und verträgt sich nicht mit Tendenzen zur zentralistischen Vereinheitlichung.
Dem Lutheraner (selbstverfreilich auch dem Ex-Lutheraner) wird das höchst bekannt vorkommen. Art. 28 der confessio augustana bestreitet ja nicht etwa nur die weltliche Gewalt der Bischöfe, sondern auch deren Recht, innerkirchliche Satzungen zu errichten, nicht zuletzt, liturgische Vorschriften zu erlassen. Die "Liturgiefreiheit" war den Lutheraner und ist den progressiven Katholiken integraler Bestandteil der "Romfreiheit", oder um es mit Carl Schmitt zu sagen, des antirömischen Affekts.

Mit dem Freiheitssinn des Protestantismus - so weit er sich nicht als Befreiung vom römischen "Zentralismus" versteht - ist es im übrigen nicht weit her. Protestanten ist dies meist klarer bewußt als den protestantisierenden katholischen Luther-Sympathisanten.

Bei meinem letzten Besuch in der einstmaligen erzbischöflichen Kathedrale Skandinaviens in Lund fiel mir eine Broschüre in die Hände, die nicht nur die Geschichte des Doms, sondern auch die Geschichte der Reformation in Skandinavien beschreibt. Die Reformation - so heißt es da - habe in Skandinavien den Charakter eines Staatsstreich ("coup d´etat")angenommen. Das Ergebnis war - so die schwedisch-lutherische Erkenntnis - der erste totalitäre Staat Europas.
"By today´s standards, Swedish society of the 17th and 18th centuries would generally be considered totalitarian, Lutheran orthodoxy and strict church discipline were mainstays of systematic public control, an the church endorsed the Crown´s claims to power."
Die Befreiung vom lediglich geistlichen römischen "Zentralismus" endete - schon vergessen -  im protestantischen Autoritarismus der - später gemildert durch das freundliche Regiment aufgeklärter Fürsten - den ganzen europäischen Norden durchseuchte.

Noch schlimmer allerdings die hachsodemokratische andererseits so viel - unter anderem von dem trio infernale BahnersDeckersGeyer - gelobte Direktwahl der Bischöfe und Priester.
Gemäß dem alten Rechtsprinzip „Was alle angeht, soll von allen entschieden werden“ braucht es mehr synodale Strukturen auf allen Ebenen der Kirche. Die Gläubigen sind an der Bestellung wichtiger Amtsträger (Bischof, Pfarrer) zu beteiligen. Was vor Ort entschieden werden kann, soll dort entschieden werden.
So war es einst gewesen und ist es nimmermehr. In den ersten Jahrhunderten wurden die Bischöfe in der Tat vom Kirchenvolk gewählt. Augustinus hat sein ungeliebtes Amt auf diese Weise erworben. Doch der römische Zentralismus hat seinen Sinn. Er war bitter notwendig, um die politische Einflußnahme auf die Besetzung der Bischofsämter zu unterbinden. Jahrhundertelang und bis heute kämpft die Kirche um dieses Recht. Es wurde ihr genommen von so manchem mittelalterlichen Potentaten, vom englischen König, von den preußischen Kulturkämpfern, von der kommunistischen Diktatur Chinas.

Was da so demokratisch daherkommt ähnelt doch verteufelt der constitution civil du clergé der französischen Republik von 1790. Die Bischöfe etwa wurden gemäß dieser constitution durch Wählerversammlungen auf Ebene der Departements durch Priester und Laien (inclusive der protestantischen Laien!) gewählt. Jegliche Einflußnahme des Papstes wurde ausgeschaltet. Die Priester hatten einen Eid auf die (antikatholische) Verfassung der Republik zu leisten. Rund die Hälfte aller Kleriker und die Mehrheit der Bischöfe unterzeichnete nicht. Ihnen wurde als "Eidverweigerer" zunächst die öffentliche Predigt untersagt, schließlich wurden sie verhaftet, vertrieben, ermordet. Bei dem Septembermassakern des Jahres 1792 wurden 200 "Refractaires" von einem blutdürstigen Mob abgeschlachtet. Die Demokratisierung der Kirche endet mit einem Blutbad und schließlich der Dechristianisierung Frankreichs.

Ich glaube nicht, daß sich die offenbar kirchenhistorisch und kirchenrechtlich eher unbedarften Professoren darüber Gedanken gemacht haben, in welche Tradition sie sich stellen. Aber vor meinem geistigen Auge erscheint ein gewisser junger Mann mit zwei riesigen Ohrringen, wenn ich dieses Papier lese.

Das Bild zeigt einen "Untergrundgottesdienst" eines  prêtre refractaires 

2 Kommentare:

Der Herr Alipius hat gesagt…

Danke für's Durchleuchten! Ich glaube, im vorletzten Absatz Deines Postings fehlt am Ende irgendwas...

Laurentius Rhenanius hat gesagt…

Herzlichen Dank!
Ich hatte gestern einen Post ähnlichen Inhaltes angefangen...
Zufälle gibt es!
Aber Dein "Röntgenbild" ist so gestochen scharf und hervorragend, besser geht nicht!
Danke!