Sonntag, 6. Juni 2010

Asfa-Wossen Asserate: Lob des Spießers

"Nun wird aber nicht nur das soeben geschilderte niedrige Spießertum mit Verachtung bedacht, sondern es werden auch gewisse Formen kleinstädtischen Lebensstils als "spießig" gebrandmarkt, die diese Stigmatisierung nach meiner festen Überzeugung nicht verdient haben. Als ich nach Deutschland kam, waren diese Kleinstädter für mich die wahren Deutschen, so wie ich sie mir in Afrika zurechtgeträumt hatte. Sie hatten eine unverwechselbare Form - ich lernte später, daß die Intellektuellen und die eleganten Leute darüber lachten-, es war ihnen wichtig formvoll zu sein. ... Sie erkannten die grundsätzliche Notwendigkeit, als würdiger Mensch Manieren zu haben. ... Was war eigentlich so unmöglich daran, am Sonntag in Tracht in die Kirche zu gehen? Die Trachten waren doch sehr hübsch. Nein, sie waren nicht hübsch, denn sie waren keine echten Trachten, sondern verunglückte Mischformen, die von der Textilindustrie entwickelt worden waren ... . Ich habe aber heute noch die feste Überzeugung, daß solche - von mir aus mißlungene - Festgewänder ehrwürdiger sind als die Unisex-Freizeitkleider, in denen es sich die Massen längst bequem gemacht haben. ...." 
"Die Gesellschaft hat den Instinkt von Zugvögeln, die genau wissen, wann es Zeit ist, aufzubrechen. Aber die Kleinstädter, die wahren Deutschen sind treu. Hier wird vieles bewahrt, was die Schöne Welt längst hinter sich geworfen hat. Der abgespreizte kleine Finger beim Halten der Kaffeetasse, einst das Symbol für spießige Geziertheit ... war im achtzehnten Jahrhundert aristokratisch und galt als sehr anmutig, wie wir den herrlichen Bildern des hochmondänen Boucher, des "Art-Director", der Madame de Pompadour, deutlich erkennen können. Aus derselben Zeit stammt der Kult der Spitzen, die zur aristokratischen Garderobe gehörten ... Sie sind vielleicht nicht gerade schön und mögen für den weitläufigen Geschmack kleinlich und lächerlich wirken, aber sie bewahren etwas Historisches, aus einer anderen, für Deutschland sehr wichtigen Epoche, deren Schönheitsideale zwar unverstanden fortleben, aber doch von dem Wunsch zeugen, sich an großen Vorbildern auszurichten und das menschliche Leben irgendwie edler zu machen."
Den Text hab ich noch gesucht. Das Bild (natürlich von Boucher) zeigt Bouchers reizendes Eheweib.

Keine Kommentare: