Sonntag, 20. Juni 2010

Pfingsterklärungen


Es gibt Figuren in der Geschichte, die ich für Besessene halte. Einen dieser Besessenen habe ich selbst einmal als meinen Lehrer angesehen. Einen, der so harmlos als Philosoph, als revolutionärer Demokrat daherkommt, an dem aber doch jeder, der nicht völlig der Verblendung anheim gefallen ist, den Schwefelgeruch des satanischen Rebellen wittert. Von Michail Bakunin hat sich selbst der Kommunist Friedrich Engels angewidert abgewandt, mit Marx verband diesen "Satan der Revolte" lange Jahre eine zumindest respektvolle Feindschaft.

Die Liste der einflußreichen und vielgerühmten Freunde dieses wahren Anarchisten ist lang. Während des Dresdener Maiaufstands sehen wir ihn an der Seite von Richard Wagner und Gottfried Semper. Und Pfingsten 1889 sehen wir ihn an der Seite von Ernst Haeckel, Victor Hugo, Hendrik Ipsen und Herbert Spencer. Ausgerechnet an Pfingsten l889 ließ ein Komitee, dem Bakunin angehörte, auf dem römischen Campo dei Fiori ein Denkmal von Giordano Bruno errichten, ein Denkmal dessen finstere Bildersprache den Angehörigen des Denkmal-Komitees offenbar nicht auffiel. Ist der "Imperator" aus Star Wars diesem Finsterling nicht wie aus dem Gesicht geschnitten?

Am Geburtstag der Kirche vorzugsweise treibt sich der Widerstandsgeist herum. Die Errichtung des Denkmals trieb vor allem der Darwinist (und Wegbereiter der Eugenik und der Rassenhygiene) Haeckel voran:
In seiner Ablehnung jeglicher Metaphysik, wie sie sich ihm in Gestalt der Katholischen Kirche am augenfälligsten zeigte, verstand sich Ernst Haeckel als direkter Nachfahre des Ketzers Giordano Bruno. Mehr noch: Er empfand sich als Geistesbruder, Wahlverwandter und Reinkarnation des Gelehrten. Als 1889 italienische Monisten und Freidenker die berühmte Bruno-Statue unweit des Vatikan auf dem römischen Campo dei Fiori errichteten, gehörte Haeckel neben dem Schriftsteller Victor Hugo, dem norwegischenDramatiker Hendrik Ibsen, dem Anarchisten Bakunin und dem englischen DarwinistenHerbert Spencer zum Präsidium des Denkmal-Komitees. Ausgerechnet an Pfingsten wurde die Statue Brunos – begleitet von Straßenschlachten – eingeweiht.
Haeckel - ich ziehe ja für mein Leben gerne Verbindungslinien - war ein Schüler des *piep*Liberalen Vichows, gewissermaßen des spiritus rector des Kulturkampfs, der für zahllose preußische Katholiken, Vertreibung, Enteignung, Gefangenschaft bedeutete.

Wen da also wer an Pfingsten eine "Pfingserklärung" verbreitet, gerichtet gegen die "feudalistische Hierarchie" der Kirche, sollte wissen, in welcher Tradition er sich möglicherweise befindet.

Nun hatten die Tradition, ausgerechnet an Pfingsten Erklärungen gegen die Kirche zu verkünden, sogar Katholiken selbst begründet. Am 28. Mai 1871 veröffentlichte der katholische Theologe Ignaz von Döllinger die sogenannte "Münchner Pfingsterklärung", die den Anstoß gab für die Abspaltung der "Professorenkirche" - der Altkatholiken - von der katholischen Kirche. Und um die Kurve zu Virchow, Haeckel und Bakunin zu kriegen: die Disziplinierung der "altkatholischen" Professoren durch die Kirche war für Preußen ein willkommener Anlaß, um zum Vernichtungsfeldzug gegen die "Ultramontanen" zu blasen.

Kommen wir also zur aktuellen "Pfingsterklärung". Was wollen die Pfingsterklärer?
Die Vergangenheit hat (nicht nur in Augsburg) gezeigt, dass es der Kirche schadet, wenn die Stimme der Ortskirche übergangen wird. Deshalb halten wir eine breite Beteiligung des Volkes Gottes auf dem Weg zur Ernennung eines neuen Bischofs für notwendig. Es muss selbstverständlich sein, dass in der Kirche eine offene und freimütige Art des Dialogs gepflegt wird. Wir erwarten, dass die Gremien der Laien stärkere Entscheidungskompetenzen erhalten.
Es geht gegen das Bayernkonkordat - dem mein FAZ-Lieblingsredakteur Daniel Deckers immer das in seinen Augen vorbildliche (und immer noch gültige) Preußenkonkordat entgegenhält. Es geht gegen die Ernennung der Bischöfe durch den Papst allein. Das, so unisono die Mixa-Gegner, die FAZ, und die versammelte antikatholische Journaille der Republik, ist der Kern des Übels. Es geht gegen die "Ultramontanen". Es geht um die angebliche "Demokratisierung der Kirche".

Um die "Demokratisierung der Kirche" ging es auch schon den französischen Jakobinern, die den "Gremien der Laien stärkere Entscheidungskompetenzen" gewährten. Für die Pfingsterklärer sollte doch eigentlich die Constitution civile du clergé, die die Bischöfe zu Beamten des Staates machte, und den Klerikern und Laien "vor Ort" (übrigens inclusive der Nichtkatholiken) das Recht der "demokratischen" Bischofswahl gewährte, das Ziel ihrer Träume sein?

In Frankreich führte diese Constitution zu einem Volksaufstand, der im ersten Völkermord der neueren Geschichte endete, dem Massaker in der Vendée.

Die "breite Beteiligung des Volkes" an der Wahl der Bischöfe ist das Gegenteil von demokratisch. Jedenfalls dann, wenn man Demokratie - was eine allzu wörtliche Übersetzung nahelegt - nicht als Volksherrschaft mißversteht, sondern als ein Verfassungssystem, daß unter anderem Religionsfreiheit garantiert. Denn zur Religionsfreiheit gehört, wie es die Paulskirchenverfassung formuliert, daß "jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig organisiert und verwaltet". Und daß nur der Papst Bischöfe ernennt, wie es Can. 377 c.i.c. bestimmt, hat seinen guten Grund. Nur der Papst kann wirklich weitestgehend unabhängig und unbeeinflußt von Meinungen, Moden und Pressionen über das Amt eines Bischofs entscheiden. Alles andere hat sich nicht bewährt. Alles andere hat stets nur den Opportunismus und die kirchliche Ämterpatronage, häufig genug den nackten Simonismus gefördert.

Und daß es genau so ist, weiß nicht nur die Kirche, auch ihre Gegner wissen das. Stets war es das Ziel aller Potentaten, Jakobiner, Kommunisten und Diktatoren aller Zeiten und jeglicher couleur, den Klerus aus der "Bevormundung" durch den Papst zu befreien, um sie der eigenen Fuchtel zu unterwerfen. Der Zeitgeist, der die Pfingsterklärer bewegt, führt dabei kein wesentlich nachsichtigeres Regiment als die chinesischen Kommunisten.

Das Bild zeigt eine Fotografie des Atheisten-Denkmals auf dem Campo dei Fiori.